„An Theres ist die Les“, sagt eine Bauernregel. Aber 2018 ist alles anders. Wenn die Christenheit am 15. Oktober der heiligen Theresa von Avila gedenkt, dürfte die Traubenernte in Franken längst eingebracht sein – auch in Frickenhausen. Hier bekommen Wanderer auf einem mit normalem Schuhwerk zu gehenden, sogar kinderwagen- und rollatortauglichen Rundweg aufgezeigt, was Winzer und andere landwirtschaftlich Interessierte aus bestimmten Naturereignissen an sogenannten Lostagen herauslesen bzw. hineininterpretieren können.
Zuletzt fiel die Prognose unstrittig positiv aus. Am 10. August erfüllte sich folgender Wunsch: „St. Lorenz, lass den Weinberg braten, dass die Trauben wohl geraten!“ In dem kurzen Reim steckt eine deutliche Anspielung auf das Schicksal des Märtyrers; bei Gluthitze fand er den Tod auf einem Rost, seinem ständigen Attribut zum Beispiel auf Gemälden.
St. Urban trägt für gewöhnlich pralle, prächtige Trauben in seinen Händen. Doch in Frickenhausen lernt man, dass es sich dabei um eine Fehldeutung der älteren Darstellungen handelt – eine Verwechslung mit den Folterwerkzeugen, die ihm Qualen bereiteten: Den seinerzeitigen Papst (von 222 bis 230) geißelten seine Widersacher mit Bleikugeln. Diese waren vermutlich blauschimmernden Weinbeeren nicht unähnlich.
Darüber staunt auch der örtliche Geistliche. Franz Schmitt, leitender Pfarrer der Pfarreiengemeinschaft Emmaus (Erlach, Frickenhausen, Kaltensondheim, Zeubelsried), gibt ehrlich zu, die zwölf Infotafeln am knapp drei Kilometer langen Weinheiligenweg im Detail erst jetzt gelesen zu haben. Und ein weiteres Geständnis: „Leider weiß ich die erwähnten Namenstage nicht alle auswendig.“ Er würde sich freuen, wenn die Angaben noch um das jeweilige Datum ergänzt würden. Ein solcher Hinweis ist nur einmal vorhanden – wohl zur klaren Unterscheidung, weil der Kalender eine ganze Reihe von Marienfesten auflistet. Für die „Verkündigung“, den 25. März, gilt: „Maria bindet die Reben auf, nimmt auch leichten Frost in Kauf.“
Pfarrer Schmitt bedauert, die gut einstündige Tour nie mit demjenigen unternommen zu haben, der vor über zehn Jahren den Tatendrang des seinerzeitigen Bürgermeisters Ludwig Hofmann in eine besondere Richtung lenkte: mit Josef Bätz; dessen angeschlagene Gesundheit hindert ihn. Stattdessen begleitet Charlotte Will den Seelsorger. Außer dass sie 30 Jahre lang das Pfarrbüro managte und in der zweiten Wahlperiode Pfarrgemeinderatsvorsitzende ist, stellt sie schon seit 1991 als Gästeführerin ihre in vielerlei Hinsicht reizvolle Heimat vor. Sie verweist darauf, dass fast alle Gemeinden mit Weinbautradition in Mainfranken einen Weinwanderweg zu bieten hätten. Aber Josef Bätz habe sich den Kopf zerbrochen, wie sich Frickenhausen abheben könne. Jener habe ein halbes Jahrhundert lang das Amt des Kirchenpflegers ausgeübt. „Da war’s eigentlich naheliegend“, meint sie schmunzelnd, „dass dem ‚frommen Josef’ eingefallen ist, das Jahr der (Wein-)Bauern von Januar bis Dezember in Bezug zu setzen mit den mächtigen Fürsprechern der Menschen bei Gott.“
„Weinheiligenweg“ ist ein griffiger Begriff, aber genau genommen nicht zutreffend: Nur einer gilt als Patron der Winzer, und das auch bloß wegen eines Irrtums … St. Urban ist’s und eben nicht der in den „Landen um den Main“ allseits bekannte Wortführer einer Gruppe iroschottischer Mönche, dem der romantisch verklärte Victor von Scheffel als gebürtiger Karlsruher, aber Frankenliebhaber diese Position zuschrieb: „Bald hebt nun auch das Herbsten an, die Kelter harrt des Weines, der Winzer Schutzherr Kilian beschert uns etwas Feines.“
Nicht nur das Juli-Schild auf dem gut besonnten Rundkurs hoch über der rund 1.400 Einwohner zählenden Marktgemeinde vor den Toren Ochsenfurts ist dem Frankenapostel gewidmet; die Frickenhäuser setzten ihm ein wahrhaft monumentales Denkmal zur Erinnerung an ihre große Weinbergsflurbereinigung zwischen 1958 und 1984. Charlotte Will erklärt: „85 Betriebe bewirtschaften unsere rund 120 Hektar Rebfläche in den drei Weinlagen Kapellenberg, Fischer und Markgraf Babenberg.“ Die meisten seien Feierabendwinzer; nur zwei Weingüter – vielleicht inzwischen auch drei – könnten vom Weinbau leben. Eine Spitzenqualität brächten sie durch Mengenbegrenzung und sorgsame Pflege hervor, betont die Kennerin. Sie zeigt auch eine neubestockte Bio-Parzelle und einen gemischten Satz; Trauben verschiedener Rebsorten sollen für ein außergewöhnlich aromatisches Geschmackserlebnis sorgen.
Pfarrer Schmitt hat vor allem Augen für die steinernen Kunstwerke entlang der Strecke; zum Beispiel eine Schutzmantelmadonna, das Gesellenstück des Eisinger Bildhauers Melchior Gresser. Einen einzigartigen Kreuzweg hat der Kleinochsenfurter Otmar Kleindienst Mitte der Achtzigerjahre für die Kapellensteige geschaffen; im jeweiligen Bildhintergrund säumen Frickenhäuser Sehenswürdigkeiten den Leidensweg Christi, die Personen sind fränkisch-ländlich gekleidet. Die Sandsteinstationen sind eingelassen in die südliche Weinbergsmauer. Alle Jahre am Ostermontag geht die Pfarrgemeinde diese Steige hinauf – aus Dankbarkeit, weil Frickenhausen im Zweiten Weltkrieg von einer Bombardierung verschont blieb. Nur einmal habe die Prozession zur Valentinuskapelle wegen Eisregens nicht stattfinden können, betont Charlotte Will. Die Kapelle errichtete übrigens 1699 der Büttner Valentin Zang zu Ehren seines Namenspatrons, nachdem er mehrere Jahre ans Bett gefesselt und von seiner Lähmung auf wunderbare Weise geheilt worden war. Sein Krückstock wird noch in der Sakristei verwahrt.
Als historisch ist zu bezeichnen, was hier an diesem Anstieg am 16. August 2016 geschah. Die Bürger Frickenhausens zogen nur mit Muskelkraft einen dreieinhalb Tonnen schweren, gesägten und geschliffenen Muschekalkquader auf eine Plattform etwa 100 Meter oberhalb der Kapelle. Drei solcher Blöcke bilden einen Freialtar. Als Altarbild fertigte der Reichenberger Künstler Michael Ehlers aus Cortenstahl die Abendmahlszene, wie sie Leonardo Da Vinci mit Ölfarben festgehalten hat. Hier an dem Terroir-f-Punkt, einem magischen Ort, endet der Weinheiligenweg an einem „Fenster zu den Religionen“. Man erfährt, dass an über 200 Bibelstellen auf den Wein verwiesen werde, dass er den Menschen erquicke (Sirach 31, 32). Deshalb: „Soll der nächste Wein gedeih’n, muss St. Stephan ruhig sein. Ist Dreikönig still und klar, gibt’s ein reifes Winzerjahr. Ist es aber nass, bleibt leer das Fass.“
„Zwischa Wengert und Mee“
Am zweiten September-Wochenende feiern die Frickenhäuser ihre Kirchweih. Die Pfarrkirche bildet mit dem spätgotischen Rathaus, der ehemaligen, schon 1475 belegten Kellerei des Würzburger Domkapitels (heute Weingut Meintzinger) und dem Haus Hofnagel aus der Zeit um 1700 ein imposantes Ensemble. Sie trägt den Namen des heiligen Gallus. Wesentliche Teile des dreischiffigen Gotteshauses gehen aufs frühe 16. Jahrhundert zurück, allerdings stammen die Untergeschosse des 1605 bis 1616 errichteten, markanten Julius-Echter-Turms sogar aus der Romanik. Apropos Türme. Frickenhausen hat in dieser Hinsicht das Maintor, das Mühltor, das Untere Tor, konsequenterweise auch ein Oberes Tor und den Joachimsturm zu bieten. Den Letzteren hat der Winzerverein zu seinem Domizil erkoren. Auch die anderen – bis aufs Maintor – dienen als Vereinsheime für Sänger, Radfahrer, Turner und sonstige Sportler.
Manches Kleinod gibt es in der – laut Ortsprospekt – „zwischa Wengert und Mee“ sich schmiegenden, 903 erstmals urkundlich erwähnten Ansiedlung zu entdecken. Oder man lässt sich alles zeigen von einer Expertin wie Charlotte Will; Kontakt unter 09331 5310. Siehe auch: www.frickenhausen-main.de.