Am Ende zweier völlig unterschiedlicher Passionsdarstellungen in der Gochsheimer Pfarrkirche steht jeweils die Auferstehung als 15. Station.
In Gochsheim gibt’s die Linken und die Rechten. Das hat nichts mit verschiedenen politischen Ausrichtungen zu tun. Beide „Fraktionen“ folgen Jesus: Die einen fühlen sich mehr berührt von seinem Leiden und Sterben, wie es an der linken Wand der Pfarrkirche St. Matthias der fränkische Bildhauer Max Walter mit Bronzereliefs dargestellt hat; die anderen tendieren auf die rechte Seite des voluminösen Gotteshauses, wo der international gefeierte Egino Weinert den Erlöser in farbintensiver Emailletechnik auf quadratischen Tafeln in Szene gesetzt hat. Die Stile könnten unterschiedlicher nicht sein. Aber beide Künstler waren sich einig darin, sich nicht mit den üblichen 14 Stationen der Passion zu begnügen. Sie beschlossen ihren Zyklus jeweils mit einem sich in der Form vom Rest abhebenden Motiv – mit der Vollendung an Ostern, mit der Auferstehung.
Wie kam es zu dem Kuriosum, dass sich zwei Kreuzwege unter einem Dach befinden? Und dann auch noch so außergewöhnliche Werke? Gochsheim bei Schweinfurt zählt zu den sogenannten Urpfarreien des Bistums Würzburg. Doch 1543 wechselten die Bewohner zur protestantischen Religion. Katholisches Leben breitete sich erst ab dem Ende des 19. Jahrhunderts allmählich wieder im Ort aus. Unter anderem wirkte hier als Kaplan der spätere Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Julius Kardinal Döpfner. Nach dem Zweiten Weltkrieg siedelten sich vermehrt Katholiken an, sodass die bis dahin von Weyer aus versorgte Gemeinde zur eigenständigen Pfarrei erhoben wurde. Sie ist heute die größte der Pfarreiengemeinschaft „St. Christophorus im Mainbogen“ und deren Verwaltungssitz. Ihre Kirche bietet den meisten Platz.
Pfarrer Gregor Rügamer stieß den 1960/61 ausgeführten Kirchenbau an. Der Geistliche habe für die Einsätze der freiwilligen Helfer den Talar gegen robuste Arbeitsklamotten getauscht, erinnert sich der 72-jährige Peter Menzinger, lange Vorsitzender und immer noch Mitglied des Pfarrgemeinderats, an seine Kindheit: „Damit hat er alle angesteckt. Selbst die evangelischen Bürger packten mit an.“
Umfangreiche Aufzeichnungen über die Gemeinschaftsleistung existieren nicht im Pfarrarchiv. Ebenso wenig darüber, wie und zu welchen Konditionen die Bronzen von Max Walter angeschafft wurden. Menzinger vermutet, dass der mit der Gesamtplanung beauftragte Schweinfurter Architekt Peter Kramer den Kontakt zu dem noch nicht weithin bekannten Künstler aus Vasbühl bei Werneck herstellte und dass es zwecks Bezahlung einige Wohltäter gab.
Nur biblische Ereignisse
Max Walter (18.5.1933–18.8.2017), der im Lauf seines 84-jährigen Lebens unter anderem für den Würzburger Dom den Liborius-Wagner-Altar und die Taufbeckenabdeckung sowie den Kreuzschlepper auf dem Kiliansplatz fertigen sollte, hatte während der Schulzeit in der Schreinerei seines Vaters zu schnitzen begonnen. Von 1948 bis 1951 hatte er die Holzschnitzschule in Bischofsheim in der Rhön besucht. Dann 1952/53 die Kunst- und Handwerkerschule in Würzburg, um außerdem die Steinbildhauerei zu erlernen, Zeichenunterricht bei Heiner Dikreiter zu nehmen und seine Schnitzkenntnisse bei Richard Rother zu vertiefen. Und schließlich von 1954 bis 1960 die Akademie der Bildenden Künste in München, wo er sich die Techniken des Tonmodellierens und vor allem des Bronzegießens aneignete. Letztere brauchte er für den Auftrag in Gochsheim. Vorwiegend aus Quaderstücken fügte er aus der Kupfer-Zinn-Legierung fünf große Reliefs zusammen. Insgesamt zeigen sie 14 biblische Ereignisse vom letzten Abendmahl bis zur Grablegung durch Josef von Arimathäa und Nikodemus. Zum Schluss als einzelne und 15. Station, bei der runde Elemente dominieren: die Auferstehung.
Jedoch wählte der unter dem Eindruck des Zweiten Vatikanischen Konzils stehende damalige Mittdreißiger nicht die Abfolge, wie sie bei den Kreuzwegandachten üblich sind. Er orientierte sich streng an der Bibel – in diesem Fall wahrscheinlich am Johannes- und Markusevangelium.
Solidarität mit den Opfern
Wolfram Walter ordnet und verwaltet den Nachlass seines Vaters Max. Auf Schwarzweißfotos von den Gochsheimer Reliefs hat er den Vermerk „1966–1970“ entdeckt. Im Kontext dieser Jahre, als zunehmend die von den Ländern Lateinamerikas ausgehende Befreiungstheologie in den Blick rückte, versucht der zuständige Pfarrer, Dekan Gregor Mühleck, zu erklären, was Max Walter bewegt haben mag, das Kreuz fast inflationär zu verwenden: „Jesus trägt das ganze Leid der Menschen. Er zeigt Solidarität mit den vielen, die zu Opfern wurden.“ Der Dekan und Religionslehrer wagt im Zusammenhang mit Simon von Cyrene sogar einen Exkurs in die jetzigen Monate der Pandemie: „Jesus bleibt bei allen, die ihr Kreuz annehmen, er begleitet den Krankheitsprozess.“
Auf Golgotha hängt in Max Walters Werk der rechte Schächer kopfüber. Darin erkennt Dekan Mühleck eine Verbindung zum Apostel Petrus. Dieser hatte ja darum gebeten, mehr als sein Herrgott zu büßen und deshalb mit dem Kopf nach unten gekreuzigt zu werden. Walters Sohn Wolfram meint hingegen: „Damit sollte lediglich verdeutlicht werden, dass der eine der mit Jesus hingerichteten Verbrecher im Gegensatz zum anderen seine schlimmen Taten bereute und darüber hinaus bei Jesus keine Schuld sah.“
Wolfram Walter ist als einziger von fünf Geschwistern wie der Vater als Kunstschaffender tätig. Zudem unterrichtet er als Kunsterzieher an zwei Schweinfurter Gymnasien. Was Dekan Mühleck als rätselhaft erachtet, dass manche Köpfe nicht nach außen, sondern nach innen gewölbt sind, bezeichnet der mit der Arbeitsweise Vertraute als Gestaltungsprinzip: „So erzeugt man Licht und Schatten, verstärkt Kontraste.“
Individuell passend
Rund 300 Arbeiten von Max Walter an über 100 Wirkungsstätten hat Sohn Wolfram bisher in einem Werkverzeichnis erfasst. Teilstücke des Gochsheimer Gesamtkomposition sind in St. Michael in Schweinfurt als Aluminiumguss zweitverwertet. Walter-Fan Menzinger verweist allerdings auf das vermeintlich edlere Material in St. Matthias und die hier zu den kantig behauenen Sandsteinen des Mauerwerks individuell passende Formgebung. Dagegen wirke der Weinert-Kreuzweg an der Wand gegenüber wie eine Bestellung aus dem Katalog. „Ich war einer derjenigen, die sich furchtbar aufgeregt haben, weil 180 000 Mark ausgegeben wurden für einen zweiten Kreuzweg“, verrät Menzinger. Sein früherer Pfarrgemeinderatskollege Günther Grönert plädiert ebenso dafür, den Walter-Kreuzweg von offizieller Seite mehr zu berücksichtigen. Menzinger veröffentlichte in Eigenregie sogar ein Heft mit Gebeten speziell zu diesen Metallbildern.
Pastoralreferent Rainer Weigand bekennt, meist auf die Kreuzwegtafeln des Egino Weinert (3.3.1920–4.9.2012) zu deuten, wenn er beispielsweise mit den Kommunionkindern das Passionsthema behandle. Von seinem Kölner Atelier aus war Weinert mehrfach für den Heiligen Stuhl tätig. Einige seiner Arbeiten sind in der Sammlung moderner religiöser Kunst der Vatikanischen Museen zu sehen. Der Gochsheimer „Pasti“ ist auch vom Schicksal des berühmten Sakralkünstlers beeindruckt. Der hatte nämlich 1945 im Alter von 25 Jahren seine rechte Hand durch eine Sprengfalle der Roten Armee verloren. Wegen seiner nicht mehr vorhandenen Unversehrtheit war er letztlich 1949 durch einen Konventbeschluss aus der Abtei Münsterschwarzach ausgeschlossen worden – wenige Wochen bevor er die Ordensgelübde ablegen wollte; mit 14 war er als Klosterschüler eingetreten, hatte hier den Namen Egino angenommen sowie Lehren zum Restaurator, Kirchenmaler, Bildhauer, Gold- und Silberschmied absolviert. Den Mitbrüdern sollen seine Heiligendarstellungen zu abstrakt gewesen sein; und ihnen soll missfallen haben, dass er anatomische Studien betrieb, also Akte zeichnete.
Eine Berühmtheit
Wie auch immer – Egino Weinert setzte Akzente in der zeitgenössischen christlichen Kunst. Zuhauf stecken seine Arbeiten als Beicht- und Osterbildchen in den Gesangbüchern der jetzt auf die Rente zusteuernden Generation. 1987 stattete er die St.-Matthias-Kirche in Gochsheim aus. Der seinerzeitige Pfarrer Erich Greb soll mit ihm befreundet gewesen sein. So können sich die Kirchgänger außer am „rechten Kreuzweg“ an weiteren schönen Dingen wie einem Reliquienschrein und verzierten Griffen an den Eingangstüren erfreuen.
Ausgerechnet im Kölner Apostelstift nur wenige Straßen von Weinerts Adresse entfernt erfuhr vor etwa vier Jahrzehnten der aus Unterfranken kommende spätere bayerische Provinzial und römische Generalrat der Barmherzigen Brüder, Frater Rudolf Knopp, seine theologische Ausbildung. Er berichtet: „Schon als Novize hat mich Weinert fasziniert. Er konnte in eindimensionaler Darstellung mit zahlreichen verspielten Details dreidimensional erscheinende Geschichten erzählen.“ Interessierten empfiehlt der Kunstfreund zum Vergleich zu Gochsheim einen Abstecher nach St. Kunigund in der Bamberger Gartenstadt, wo die Ausstattung der Werktagskirche komplett aus der Hand Weinerts stammt: Verblüffenderweise besteht der Kreuzweg aus Bronzereliefs – Miniaturen im Verhältnis zu denen von Max Walter in Gochsheim.
Auferstehungsdarstellungen von Max Walter (links) und Egino Weinert (rechts) in der Gochsheimer Pfarrkirche St. Matthias.
| Fotos: B. Schneider
Super illustriert! Glückwunsch!