Besinnliche Schleifen über dem Sakko-Canyon

1987, 2003, 2007, 2009, 2011, 2013, 2020 und schließlich nun wieder am Abend des 16. August 2023: Der Leidersbach, der auch namensgebend für den Hauptort und die Gemeinde ist, schwillt nach Wolkenbrüchen an, kann die Wassermassen nicht alle aufnehmen beziehungsweise wegschwemmen. Schlammige Fluten ergießen sich in die Häuser. – Es gab Pläne, 14 Deiche ringsum auf den Höhen zu errichten; die damals veranschlagten 17 Millionen Euro erschienen zu kostspielig … Dort oben verläuft der Panorama-Besinnungsweg. Unter anderem bietet er gesundheitsförderndes Wassertreten und das Stimulieren der Fußreflexzonen auf einem Barfußpfad sowie die Begegnung mit der lokalen Frühgeschichte und mit dem christlichen Glauben.

Die Gemeinde Leidersbach gehört zum Landkreis Miltenberg, arbeitet aufgrund ihrer Grenzlage in der interkommunalen Allianz „Spessartkraft“ mit Aschaffenburger Nachbarn wie Mespelbrunn und Weibersbrunn zusammen und zählt fast 4800 Einwohnerinnen und Einwohner. Sie besteht außer aus besagtem Leidersbach aus den drei Orten Ebersbach, Roßbach und Volkersbrunn. Die beiden ersteren sind längst auch räumlich verwoben mit dem Kernort, sodass Leidersbach wirkt wie ein nicht enden wollendes Straßendorf.

Das ganze Tal ist bundesweit vor allem Hochzeitspaaren ein Begriff – wegen der außergewöhnlich großen Auswahl an festlichem Gewand für den schönsten Tag im Leben. Die Marketingleute verwenden gerne Superlative: „Längste Modemeile Deutschlands!“ In Anspielung aufs kalifornische Silicon Valley behaupten die Leidersbacher, im Sakko-Canyon daheim zu sein.

Seit 100 Jahren Bekleidungsindustrie

1923, vor 100 Jahren, nahm hier die erste Kleiderfabrik ihren Betrieb auf. Der technische Fortschritt nach dem Zweiten Weltkrieg und der Wunsch, sich nach den Hungerjahren fein herauszuputzen, sorgten für florierende Geschäfte. Zeitweilig war mehr als die Hälfte der Bevölkerung in der Bekleidungsindustrie (einschließlich Vor-Ort-Verkauf) tätig. Seit den 1980er-Jahren verlagerten die Firmen ihre Produktion wegen des Lohngefälles zunehmend ins Ausland.

Vor dem Boom mit der Konfektionsware galten die Menschen aus jenem Spessarttal als die „Hutzelgründler“. Die hiesige Pfarreiengemeinschaft heißt „Maria im Grund“. Der Marienplatz mag als Ausgangs- und Endpunkt für eine Rundwanderung dienen. Auf einer Stele werden hier drei mögliche Schleifen erläutert. Eine ist vier, die nächste fünf und die letzte zwölf Kilometer lang. Alle sind miteinander verbunden. Wer die Anfänge der Besiedlung sowie den jüngeren Teil der Leidersbacher Historie ausgehend von den Heimschneidereien erkunden will, kombiniert die Schleifen eins und zwei. Die dritte führt zu Natur und Kultur rund um Volkersbrunn und Roßbach; beispielsweise soll die Madonna in der Roßbacher Kirche aus der nicht mehr existierenden von Ruchelnheim bei Obernau/Sulzbach stammen. Viele ziehen den religiösen Stätten sogenannte Event Locations vor; im nahen Amphitheater kann man sowohl heiraten als auch feiern – mit Ausblick auf den Naturpark, dessen Mischwald jetzt im Herbst eine überaus farbenprächtige Kulisse beisteuert.

Es bleibt dennoch nicht aus, der Gottesmutter immer wieder ins Antlitz zu schauen. Kurios mutet ein Baum am Feldrand an, der teilweise ausgehöhlt wurde, um eine Marienfigur geschützt unterzustellen. Zudem ist über dem Guckloch in Hausform ein Kästlein angeschraubt mit einer ähnlichen Statue darin. Doppelt gemoppelt. 

Außergewöhnlich ausgestattete Kirchen

Nun endlich zur bevorzugten Route: Vom Parkplatz beim Marienplatz ein paar Schritte hinauf zur Leidersbacher Pfarrkirche, die St. Jakob, dem Pilger, geweiht ist: eine von 1819 bis 1822 aus rotem Sandstein errichtete klassizistische Saalkirche, die 1937/38 erweitert wurde; nicht nur das Langhaus, sondern auch der Turm tragen ein Satteldach.

Parallel zum Hang läuft man westwärts. Am Ende der Bebauung wendet man sich in Richtung der Durchgangsstraße, überquert diese und den Bach und ist somit in Ebersbach angelangt. Die hiesige moderne St.-Barbara-Kirche vereinigt im Innern einen Stilmix der vergangenen drei Jahrhunderte. Ein – wie sollte es anders sein – Marienaltar sticht heraus. Auf dem Boden flirrt das durch die Buntglasfenster gefärbte Licht. Bemerkenswert ist ferner der von dem Würzburger Kirchenmaler und Restaurator Eulogius Böhler 1918 geschaffene Kreuzweg. Jede der 14 Stationen ist namentlich einem der in Frankreich, Belgien, Rumänien und Schweinfurt gefallenen Soldaten aus dem Dorf gewidmet.

Auf riesigen Plakaten entlang der Ebersbacher Straße wird unübersehbar darauf hingewiesen, dass man sich in einem Bekleidungszentrum für besondere Anlässe befindet. Trotz verführerischer Werbung sollte man links ins Seitental, ins Krebsbachtal, abbiegen. Schon nach einem kurzen Stück lockt eine Freizeitanlage mit einem erfrischenden Kneipp-Becken. Alle Beläge des Barfußpfades pieksen fürchterlich – nur der Matsch des zu durchschreitenden Rinnsals nicht. 

Im Reich der Kelten

Den Schlossberg weiter hinauf! Keinesfalls die Altenburg im wörtlichen Sinn links liegen lassen! Das Ganze klingt nach Mittelalter. Sämtliche Dörfer der Umgebung sind zwar in karolingischer Zeit entstanden und wurden erstmals um 1200 im Zusammenhang mit dem Erzstift Mainz urkundlich erwähnt, aber der Ursprung der Ringwallanlage Altenburg auf einer einst unbewaldeten Kuppe oberhalb eines vermutlich bedeutsamen Höhenwegs reicht bis in die Jungsteinzeit zurück. Keramikfunde lassen sich der „Michelsberger Kultur“ um 4000 vor Christus zuordnen. Auf die Zeit um 600 vor Christus konnten die Reste einer Pfostenschlitzmauer datiert werden. Dieses speziell konstruierte, ohne Mörtel errichtete und in der Eisenzeit weit verbreitete Verteidigungsbauwerk wurde vor fünf Jahren rekonstruiert als eine sechs Meter hohe Trockenmauer, gegliedert durch senkrechte Holzpfosten. Das ist der sichtbare Teil; verankert ist er mit weiteren Rundhölzern in Quer- und Längsrichtung. Die aufwendige Bauweise lässt auf einen Herrschersitz schließen, von dem aus der Handel kontrolliert wurde.

In einem „Keltenhaus“ wird die Wohnsituation der Urbevölkerung dargestellt. „Keltenköpfe“, die der Künstler Manfred Schott aus tonnenschweren Sandsteinblöcken gehauen hat und die den Waldweg säumen, erheitern die Gäste mehr, als dass sie jemanden erschrecken. Führungen können, da das Burggelände auf der Gemarkungsgrenze liegt, in der Nachbargemeinde unter rathaus@sulzbach-main.de oder telefonisch unter 06028 9712-0 gebucht werden.

Im weiten Bogen schließt ein Teilstück einer Nordic-Walking-Strecke an den Besinnungsweg an. Da denkt unter anderem ein dichtender Autor über den Ruf der Kirchenglocken nach sowie über Müh‘ und Plag‘, über Geschick und Können beim Brechen von Steinen. Die Tafel am höchsten Punkt befasst sich mit dem „Allerletzten“: „Das Letzte heißt nicht Tod, sondern Auferstehung. Und am Ende steht nicht Verlust, sondern ewiges Leben.“                        bs

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