Engel zuhauf in den Kirchen des Gaus

Nummer 125 der europäischen Kulturwege in Franken macht zwei Schleifen: Nord und Süd. Beide führen in himmlische Gefilde – unter dem Titel „Cherubim im Gää“.

Strahlenkranz an der Decke des Kirchenschiffs in Rittershausen
Strahlenkranz an der Decke des Kirchenschiffs in Rittershausen

Wer sind eigentlich diese Cherubim? Gerade zur Maienzeit nehmen treue Katholiken das fremde Wort, das soviel bedeutet wie übernatürliches Wesen, in den Mund, wenn sie ein bestimmtes Marienlied anstimmen. Dessen Autor Johann Georg Seidenbusch preist die „Erhab’ne Frau und Herrscherin“ und fordert im Refrain: „Freut euch, ihr Cherubim, // Lob singt, ihr Seraphim, // Grüßet eure Königin!“

Cherubim stützen Gottes
gerechte Herrschaft

In den abrahamitischen Religionen fungieren die Cherubim als Diener und Begleiter Gottes, stützen seine gerechte Herrschaft, sind Wächter und Beschützer. Die von Seidenbusch ebenfalls erwähnten Seraphim wurden von Gott erschaffen, um Zeugnis von seiner Herrlichkeit abzulegen. Ihr Name wird übersetzt mit die Erhabenen, die Brennenden, die Feurigen. Sie gelten als Mischwesen; ihr Körper gleicht zuweilen denen von Tieren. Auch sie verfügen über Flügel. Im Christentum stehen sie als Erste in der Ordnung der himmlischen Chöre zusammen mit den Cherubim und den Thronen. Throne? Wo?

Für Verliebte mag es einen siebten Himmel geben. Aber die Heerscharen der Engel begnügen sich offensichtlich mit dreien. Die österreichische Internetplattform wirkendeKraft.at beschreibt eine Triade. Demnach befinden sich Cherubim, Seraphim und Throne im dritten Himmel und somit Gott am nächsten. Hingegen nahe bei den Menschen halten sich die Engelsfürsten, Erzengel und Schutzengel im ersten Himmel auf. Dazwischen im zweiten Himmel: Herrschaften, Tugenden/Gewalten und Mächte.

Fruchtbarer Boden sorgte
für bäuerlichen Wohlstand

Im Ochsenfurter Gau muss niemand abheben, sich in höchste Höhen begeben, um Engeln zu begegnen. Sie fliegen einem förmlich zu; zum einen im unteren Thierbachtal auf einer 11 Kilometer langen Wanderstrecke ab Hohestadt und zum anderen im mittleren Thierbachtal auf 15 Kilometern zwischen Acholshausen und Eichelsee. Übrigens täuscht sich, wer glaubt, der Gau liege bretteben da. Der liebe Gott hat diese Landschaft mit dem nährstoffreichen Löss bestreut und sie zudem überaus abwechslungsreich modelliert. Sie auf Schusters Rappen zu erkunden, strengt vermeintlich weniger an, als in die Pedale zu treten.

Überall in der Region zeigen sich frühe Zeugnisse des christlichen Glaubens. Die größte Pracht entfaltete sich freilich im Barock. Im Faltblatt, das zu jedem Kulturweg aufgelegt wird, heißt es, es habe sich „unter kirchlicher Herrschaft aus dem bäuerlichen Wohlstand des 18. Jahrhunderts ein Netzwerk von Mäzenen, Geistlichen, Baumeistern und Künstlern“ entwickelt. Und die „allgegenwärtigen Engel“ würden davon künden. Tatsächlich lächeln einen in Wolkshausen, wo nachweislich Bayerns bester Boden die Felder fruchtbar sein lässt, noch nicht einmal in der Kirche St. Markus und Maria Verkündigung, sondern in der deutlich kleineren St. Sebastianskapelle nicht weniger als elf Engelsgesichter an. In der Gaukönigshofener Schutzengel- und St. Jakobskirche, wegen seiner exponierten Höhenlage und wegen seiner Größe und überbordenden Ausstattung als Gaudom (Gäädom) bezeichnet, schwirren wohl weit über 100 Engel umher. Pfarrer Klaus König habe mehrfach gezählt und immer wieder eine andere Zahl fürs Kulturwegbegleitblatt geliefert, erzählt man sich schmunzelnd.

Altar der St. Sebastianuskapelle mit (links) der schmerzhaften Muttergottes
Altar der St. Sebastianuskapelle mit (links) der schmerzhaften Muttergottes
Der „Gää“ mit dem Dom auf der Anhöhe in Gaukönigshofen und mit der St. Bartholomäuskirche in Acholshausen (im Vordergrund)
Der „Gää“ mit dem Dom auf der Anhöhe in Gaukönigshofen und mit der St. Bartholomäuskirche in Acholshausen (im Vordergrund)
Goldener Schutzengel auf dem Kirchengiebel in Gaukönigshofen
Goldener Schutzengel auf dem Kirchengiebel in Gaukönigshofen

In Gaukönigshofen würde sich noch mehr anzuschauen lohnen, beispielsweise das Doktorshaus (Wohnung und Praxis des Landarztes) mit der Golgotha-Szene im Giebel und die St. Nikolauskapelle mit einem Steinaltar aus der Zeit um 1300. Aber wirklich zugänglich ist nur die Hauptkirche der Pfarreiengemeinschaft „Zu den Schutzengeln im Gau“. Von 1724 bis 1730 in der Regierungszeit des Fürstbischof Christoph Franz von Hutten wurde sie im Stil des Frühklassizismus und unter Verwendung von Rokokoformen wahrscheinlich nach Plänen Balthasar Neumanns erbaut und dabei nach Norden ausgerichtet; der Glockenturm ragt westlich des Chors auf. Das Deckengemälde stellt den Sturz Luzifers und der Dämonen durch den Erzengel Michael mit seinem Flammenschwert dar. In den Eckkassetten: Episoden aus dem Leben des Sohns Tobits, des Tobias, dem der Erzengel Raphael mehrmals in bangen Situationen beistand.

Der „Gäädom“ (Kircheninnenraum) mit dem Sturz Luzifers und der Dämonen
Der „Gäädom“ (Kircheninnenraum) mit dem Sturz Luzifers und der Dämonen

Auf jeden Höhepunkt
folgt schon der nächste

Zurecht vermeidet es der Leiter des bei der Ausweisung der Kulturwege federführenden Archäologischen Spessart-Projekts, Dr. Gerrit Himmelsbach, ein persönliches Glanzlicht unter dem „Cherubim im Gää“ zu benennen. Jedes Gotteshaus strahlt etwas Besonderes aus. Überall arbeiteten versierte Künstler. In Rittershausen hat der Bildhauer Johann Georg Winterstein ein Gesamtkonzept für die von 1783 bis 1785 erneuerte St. Matthäuskirche entworfen, das später nicht mehr aufgeweicht wurde. Hier präsentiert sich einer der stilreinsten klassizistischen Kirchenbauten Süddeutschlands.

Stilreiner Klassizismus im Kircheninnenraum in Rittershausen
Stilreiner Klassizismus im Kircheninnenraum in Rittershausen
Kanzel der St. Johanneskirche in Hohestadt
Kanzel der St. Johanneskirche in Hohestadt
Engel mit Papstkrone an der Kanzel in Eichelsee
Engel mit Papstkrone an der Kanzel in Eichelsee
Erzengel Michael in Wolkshausen
Erzengel Michael in Wolkshausen

Von den Mühlen am Thierbach, wo die Getreideernte aus dem Umgebung zu Mehl gemahlen wurde, geht es steil hinauf zur ehemaligen Kartause Tückelhausen. Die Wallfahrt auf den Lambertusberg reicht zurück bis ins 11. Jahrhundert. Die Klostergeschichte begann 1131 mit den Prämonstratensern. Zur „Zelle des Heils“ (Cella Salutis) wurde Tückelhausen 1351, seitdem die Kartäuser die Geschicke leiteten – bis zur Säkularisation 1803. Es ist die einzige einstige Einrichtung des Ordens in Deutschland, deren gesamte Gebäudesubstanz erhalten blieb. Die Güter kamen in Privatbesitz, die hiesige Pfarrei übernahm die St. Georgskirche. Das „Who is who“ der fränkischen Künstlerschaft hat sich hier verewigt – von Wolfgang van der Auvera bis Oswald Onghers. Und stets flankieren Engel die vielfältige Darstellung von Gott und den Heiligen und sogar von Tieren wie Krokodil, Delphin und Schildkröte, mit denen die Mönche ihre Naturverbundenheit ausdrückten.

Kartause Tückelhausen
Kartause Tückelhausen

// BERNHARD SCHNEIDER


Interdisziplinäre Forschung

Ein gelbes Schiff im Sternenkranz auf blauem Grund ist das Erkennungszeichen der europäischen Kulturwege. Die Aufgabe, das Wissen der örtlichen Fachleute zu ergründen, zu bündeln und einzuordnen, hat das Archäologische Spessart-Projekt (ASP) übernommen. Beim ASP handelt es sich um ein interdisziplinär forschendes Institut an der Universität Würzburg.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert