Die Johanns – oder lautet die korrekte Mehrzahl des Männernamens Johänne? – waren auf Erfolg programmiert. Was sie an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert im Haseltal im Spessart anfingen, floriert mehr denn je. Alle der bisher sechs Generationen der Haslocher Unternehmerfamilie Kurtz waren und sind Innovationstreiber. Umso mehr ist bemerkenswert, dass sie bis heute ihre einstige Keimzelle, einen historischen Eisenhammer, funktionstüchtig erhalten. Sie verblüffen und begeistern kleine und große Besucher gleichermaßen mit diesem Stück lebendiger Industriegeschichte.
Autobahnabfahrt Altfeld bei Marktheidenfeld. Über die Ortschaft Michelrieth führt die Straße hinunter ins Haseltal. Hier zwischen Hasloch und Schollbrunn kaufte im Jahr 1800 das Geschwisterpaar Johann Georg und Johann Friedrich Kurtz eine 21 Jahre zuvor von den Brüdern Wenzel errichtete und mit Wasserkraft betriebene Hammerschmiede. Es war die erste dieser Art in der Grafschaft Wertheim. In Spessart und Odenwald wurden in der folgenden Gründerzeit noch viele weitere angesiedelt. Aber nur der Kurtz’sche Eisenhammer überdauerte, weil weitere Geschäftsbereiche hinzukamen – zunächst 1852 eine Gießerei; im 20. Jahrhundert folgte der Maschinen- und Aggregatebau. Heute produziert und vertreibt der Kurtz-Ersa-Konzern mit über 1.200 Beschäftigten weltweit komplette Lötanlagen, um Elektrogeräte zu fertigen, sowie Gießerei- und Schaumstoffmaschinen.
An der Spitze steht kein Johann mehr, sondern ein Rainer. Es ist allerdings sein 72-jähriger Vater Walter, der nach wie vor auf dem Eisenhammer lebt. Nicht mehr im sogenannten Herrenhaus. Dies beherbergt das historische Firmenarchiv und dient als Restaurant und Tagungslokal.
Diplomingenieur Walter Kurtz holt sich gelegentlich schwarze Finger und schmutzige Kleider, indem er beim Schmieden selbst mit Hand anlegt. Jedenfalls bezieht sich Otto Hamann bei seinen Vorführungen, bei denen ebenso wie das Eisen die Leidenschaft glüht, oft und gerne auf „seinen zupackenden Hammerherren“.
Von Gestalt ist Otto, 53 und gelernter Bauschlosser, bei weitem nicht so, dass man ihm zutrauen würde, zentnerschwere Werkstücke zu bearbeiten. Er beweist, dass es weniger auf Muskeln als vielmehr auf Geschick ankommt. Er lässt den Bär tanzen. Was die Insider bezeichnen wie das einst mächtigste Raubtier der heimischen Wälder, ist ein 170 Kilogramm schwerer Hammer. Befestigt an einem Eichenstamm, der wiederum von einer dank der Kraft von 400 bis 800 Litern Wasser pro Sekunde sich drehenden Walze mit fünf Noppen aufgeworfen wird, bringt dieser es auf eine Wucht von einer Tonne mit jedem Schlag. Echte Künstler, die hier millimetergenau schaffen!
Wegen der geringen Zahl der Noppen sei der große Hammer ein Langsamläufer, erklärt Otto Hamann. An einem kleineren Schnellläufer mit 14 Noppen, der derzeit jedoch nicht einsatzbereit sei, hätten die Kurtz-Schmiede „filigrane Teile“ wie Pflugschare und Hemmschuhe für die Fuhrwerke gefertigt. 50.000 Pflugschare hätten in den besten Zeiten pro Jahr das Werk verlassen. 16 Schmiede hätten das geleistet – von Montag bis Samstag; ihre Schlafkammer habe sich direkt über dem Arbeitsplatz im gleichen Gebäude befunden.
Aufträge und damit reichlich Arbeit gäbe es offensichtlich immer noch. Erich Nenner, der die Gäste in dem anlässlich des 235-jährigen Bestehens des Eisenhammers eröffneten Hammermuseum (www.hammer-museum.de) begrüßt, bestätigt, dass immer wieder nach handgeschmiedeten Glockenklöppeln gefragt werde. Die Firma Kurtz war die letzte in Deutschland, die solche lieferte. Otto Hamann kann das Herstellungsprinzip zwar detailliert erläutern, aber er gibt offen zu, es nicht zu beherrschen. Dieses Können sei mit dem überraschenden Tod seines Vorgängers Armin Hock im vergangenen Jahr im wahren Sinn des Wortes ausgestorben.
Der Eisenhammer in Hasloch ist jetzt vom 15. bis 19. August 2018 Schauplatz eines europäischen Jungschmiedetreffens, die hier an allen Tagen arbeiten und am Ende ein gemeinsames Werk präsentieren möchten. Und ganz kleine Forscher können sich schon einmal den 3. Oktober vormerken; da ist heuer im Hammermuseum und in der historischen Schmiede wieder kostenloser „Türöffnertag“ mit der Maus aus der bekannten Fernsehsendung. Gruppen können sich übers Museum (Telefon 09342 805-459) auch jederzeit eine Vorführung buchen.
Hinter die Kulissen anderer Traditionsbetriebe am Haselbach zu blicken, bleibt leider versagt. Nahe des Eisenhammers, an der Ruine der Markuskapelle, beginnt ein europäischer (sozial- und wirtschaftsgeschichtlicher) Kulturweg: die Mühlenstraße. Sie hat auf etwa fünf Kilometern Länge (einfache Entfernung ohne Rückweg) insgesamt sechs Stationen, davon vier Mühlen. Sie sind alle in Ausflugslokale umfunktioniert. Nur in einer, in der Schreckemühle, mahlt Müller Gerhard Wiesmann noch Mehl und versorgt damit Bäckereien in der Umgebung. Sein Weizen-, Roggen- und Dinkelmehl kann man als Endverbraucher auch vor Ort in Gebinden ab fünf Kilogramm kaufen. Jedoch gibt es keine festen Ladenzeiten.
Die Einkehr in den Wirtshäusern ist überwiegend an den Wochenende möglich. Zuverlässig auch an Werktagen geöffnet ist die Kartause Grünau. „Köstliches aus der Klosterküche“ verspricht das junge Pächterpaar Karl Englert und Stefanie Merker. Freilich sind längst keine Mönche mehr da. 1328 hatte hier im Tal des Kropfbachs, der oberhalb des Eisenhammers in den Haselbach mündet, Elisabeth von Hohenlohe, geborene Gräfin von Wertheim, die erste fränkische Kartause gegründet. In der Säkularisation wurde 1803 das Kloster aufgehoben; der kirchliche Besitz fiel vollständig der fürstlichen Familie zu Löwenstein zu.
An der Kartause vorbei verläuft ein weiterer Kulturweg. Er markiert eine Sprachgrenze: den Äppeläquator, wo man den Apfel ein wenig anders bezeichnet. Ein Ziel dieses Rundkurses ist das Hasenstabkreuz, eine Art Pilgerstätte für gewisse Kreise. Es erinnert an Johann Adam Hasenstab – einem Gesetzlosen. Schon im Haseltal konnte/musste man lange einer grünen Markierung mit dem Konterfei eines bärtigen Gesellen mit tiefgezogenem Hut und Flinte folgen. Dieser Hasenstab, gebürtig aus Rothenbuch, gilt als eine Art Robin Hood des Spessarts; immer wieder gelang ihm, die Obrigkeit an der Nase herumzuführen. Ausgerechnet ein staatlicher „Grünrock“, der Forstdirektor i. R. Heinz Staudinger stilisierte ihn mit einer kurzweilig erzählten und als buch veröffentlichten Vita zum „Erzwilddieb“ hoch. Selbst sein Tod 1773 wurde verklärt: Eine silberne Kugel soll es gewesen sein, mit der ihn der Jäger Johann Sator im Kropfbachtal erschoss. Tatsache ist allerdings, dass der zielsichere Vollstrecker später seinen Sohn auf den Namen Johann Adam taufen ließ. Damit sollte ihm wohl eine erfolgreiche Zukunft beschieden sein …