Maria und Muskatzinen helfen in der Not

Raufen und Saufen lieferten die Anlässe für Gebet und Gebäck in Dettelbach.

Wahr oder nicht – gut erzählte Geschichten machen die Runde. Sie waren schon die beste Werbung, als es zumindest offiziell noch keine Marketingmanager gab und der Fachbegriff Storytelling noch nicht erfunden war. Wichtig ist, dass jemandens Leid gelindert wurde. Dieses Glück war wohl in Dettelbach einem Rauf- und einem Trunkenbold beschieden. Ihnen verdanken wir die Wallfahrt zur segensreichen Maria im Sand und die Muskatzinen zur Neutralisierung unschöner Begleiterscheinungen bei übermäßigem Weingenuss. Beide – Gottesmutter und Gebäck – tragen wesentlich zur Bekanntheit des Landstädtchens an der Bocksbeutelstraße etwa 20 Kilometer östlich von Würzburg bei.

Wein und Kultur

Dettelbach zählt knapp 7300 Einwohner in neun Stadtteilen. Es verfügt über einen Gewerbepark und über weiterführende Schulen. Kulturleben und Fremdenverkehr sind wichtige Faktoren. Die Rebhänge am Honigberg, in der Sonnenleite und am Berg-Rondell bescheren hervorragende Weine.

Als königlicher Meierhof Thetilabah findet Dettelbach im Jahr 741 erstmals schriftliche Erwähnung. 1101 tut sich ein Helmrich von Tetilabach (andere Schreibweise!) hervor. Dieses Rittergeschlecht stirbt im 15. Jahrhundert aus. Wo dessen Burg stand, wird 1444 ein mächtiger Turm mit viereckigem Grundriss bezeugt. Zusammen mit einem kleineren Rundturm als Treppenaufgang und einem hohen Chorhaus bildet er die Pfarrkirche; sie ist die einzige in der Diözese mit einem Augustinus-Patronat, wovon seit der jüngsten Sanierung 2009/10 ein Flügelaltar des Leipziger Malers Michael Triegel zeugt. Das auffällige weiß-rote Ensemble gilt als Wahrzeichen Dettelbachs. Der Viereckturm gehört nach wie vor der Stadt, weil hier der Wächter lebte, der bei feindlichen Anstürmen und bei Feuersbrunst Alarm schlagen musste.

Fürbitte durch die Mutter Gottes

Auswärtige Gottesdienstbesucher suchen in der Regel die von 1608 bis 1613 auf Geheiß des Fürstbischofs Julius Echter von Mespelbrunn errichtete Wallfahrtskirche draußen in der Flurabteilung Sand auf; sie löste eine kleinere ab, deren Bau Fürstbischof Lorenz von Bibra 1506 angeordnet hatte. Im Jahr zuvor hatte der Tagelöhner Nikolaus Lemmerer aus einem nicht näher benannten oberfränkischen Melkendorf, eine folgenreiche Eingebung: Monatelang ist er nach einer Kirchweihschlägerei auf seinem Bett gelegen, hat sich nicht rühren und regen können. Da erscheint ihm ein Engel und befiehlt ihm, mit einer Kerze zum Marienbildstock in Dettelbach zu laufen. Selbigen kennt er aufgrund dessen, weil er sich in den hiesigen Weinbergen schon mehrfach als Saisonarbeiter verdingt hat. Jedenfalls sollen, als er aus seinem Traum erwacht, seine Kräfte zurückgekehrt sein, sodass er alsdann den weiten Weg antritt.

Die Dettelbacher Pieta sollte nicht nur einmal wundersame Hilfe gewähren. Beispielsweise stellt eine Votivtafel in Text und Bild ein Ereignis im Nachbarort dar, das – so scheint es – nach gut 500 Jahren wieder an Aktualität gewinnt: „Anno 1506 23. July: Richardus Schiller von Bibergau 5 Jahr altt von einem Wolff geraubet, wird durch furbitt der heiligen Mutter Gottes zu Dettelbach ohne verletzung seiner gesundheit Restituiret.“

Bald strömen Gläubige aus allen Richtungen herbei. Julius Echter bittet schließlich 1616 die Patres der Straßburger Franziskanerprovinz, die Pilger in Dettelbach zu betreuen. Diese Ära endet wegen Nachwuchsmangels des Ordens 2016 nach genau 400 Jahren.

Gewürze wecken die Lebensgeister

Wann sich der Bittgang ereignete, der angeblich zur Erfindung der würzigen Gebäckstücke namens Muskatzinen führte, ist durch das, was überliefert ist, nicht schlüssig nachzuvollziehen. Der Legende nach soll der sündenbeladene Ritter Konrad von Tierberg an Maria Himmelfahrt von seiner Burg am Kocher nach Dettelbach aufgebrochen sein, um hier Abbitte zu leisten. Auf dem letzten Stück zur Kirche begleitet ihn ein heimischer Zuckerbäcker. Der hatte am Vorabend tief ins Glas geschaut und leidet schlimmen Durst. Seinem jammernden Mitbüßer verabreicht der Edelmann – wie er es auf dem Kreuzzug ins Heilige Land gelernt hatte – einige Muskatstücke. Diese wecken die Lebensgeister. Daher experimentiert der Geheilte sofort daheim in der Backstube mit Muskat und anderen Gewürzen. Er schafft eine noch nicht dagewesene Leckerei, die vor allem lädierte Pilger stärken soll. Neuartig auch die Form: Der Handwerker steht in dem Ruf, sich stets modisch zu kleiden und schnitzt deshalb eine Holzmodel wie eine Krawattenschleife.

Als erster Muskatzinenbäcker ist um 1850 ein gewisser Urban Degen verbürgt. Die Zeit der Kreuzritter war da längst vorüber – auch als 1686 in Dettelbach die älteste noch immer produzierende Konditorei Frankens gegründet wurde. Muskatzinen, wahlweise mit und ohne t in der Wortmitte dürfen jedenfalls nur in Dettelbach hergestellt werden. Erhältlich sind sie sogar sonntags, nämlich im Bistro der Tankstelle.

Mehrere Skulpturenwege

Dettelbach besteche durch Gemütlichkeit und Charme, heißt es auf einem Schild, auf dem die knapp 15 Kilometer lange TraumRunde „Dettelbacher Dörfer“ empfohlen wird. Eine Mischung aus Kultur und Natur erwarte die Wanderer. Obstbäume und Rebstöcke würden abwechslungsreiche Wege säumen. Belohnt werde man mit sagenhaften Ausblicken. Wer mit Kindern unterwegs ist, kann in und um Dettelbach insgesamt 18 Spielplätze erkunden plus einen Wasserspielplatz im Skulpturenpark am Main. Dank des Kulturhistorischen Kreises (KHK) sind bildhauerische Arbeiten an vielen Stellen anzutreffen. Seitdem 2005 ein halbes Jahrtausend Dettelbacher Wallfahrt begangen wurde, verbindet als Ergebnis eines internationalen Symposiums ein Skulpturenweg mit sieben Stationen unter dem Gesamtmotto „Pilgervolk“ die Kirche im Sand mit der Altstadt. Ein sogar montags, aber nicht immer auch sonntags geöffnetes Wallfahrer- und Kunstmuseum ist im modernen Kultur- und Kommunikationszentrum in der Stadtmitte untergebracht.

Stadt- und Marktrechte verlieh Fürstbischof Rudolf von Scherenberg den Dettelbachern übrigens 1484. Fünf Tore und 40 Türme samt der heute noch fast vollständig erhaltenen Stadtmauer trotzten den Angreifern. Fast 30 Jahre bauten die Bürger an ihrem repräsentativen, spätgotischen Rathaus, bis es mit mehr als 1000 Quadratmetern Nutzfläche 1512 fertiggestellt war. Die Dettel fließt darunter durch, ein Festsaal überspannt die ganze Gebäudebreite und ganz oben in der Kapelle im Erker hoff(t)en die Ratsmitglieder auf göttliche Eingaben.

Erkenntnisreich könnte für manchen auch die lyrischen Kostproben entlang des quer durch die Stadt verlaufenden Joseph-Kram-Dichterwegs sein. Vorausgesetzt man ist des Fränkischen mächtig. Der Mundartpoet machte sich unter anderem einen Reim auf „Die Scheinheilga“.


Abstecher zur Effeldorfer Loretokapelle

Im Dettelbacher Ortsteil Effeldorf ist die katholische Pfarrkirche dem heiligen Jakobus dem Älteren geweiht. Ursprünglich befand sich dort eine Loretokapelle, die als Chor in das heutige Gebäude integriert wurde. Das1652/53 errichtete Kirchlein geht auf die Jesuiten zurück. Ihnen war der Ort 1566 vom Hochstift Würzburg übertragen worden. Ihr Orden betreute die Wallfahrt zur Madonna von Loreto bei Ancona und sorgte für das einzige fränkische Pendant – in Effeldorf.



| Fotos: B. Schneider

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