Nach Mariabuchen in der Christnacht

Die Erlenbacher Höfe oberhalb des Buchentals waren die Heimat des Schriftstellers Hermann Sendelbach. Hier, inzwischen ein Ortsteil von Karlstadt, kam er vor 125 Jahren zur Welt. Sein „erster Mettegang“ als „Kind zwischen Wäldern“ grub sich in sein Gedächtnis ein. Ziel war Mariabuchen. 

Den Zauber jener Nacht hielt Hermann Sendelbach in einer beeindruckenden Erzählung fest. Die Strecke, die er damals in froher Erwartung bei Schnee und Sternenlicht mit flinken Beinchen zurücklegte, ist heute ein beliebter Abschnitt des fränkischen Marienwegs und eines europäischen Kulturwegs. Insgesamt sieben historische Mühlen säumen diesen Buchentalweg zwischen Steinfeld und Steinbach. Ein Sandsteinfindling mit Metalltafel erinnert an Hermann Sendelbach, der zwar erst elfjährig nach dem Tuberkulosetod der Mutter den heimischen Weiler verlassen musste, aber in seinem literarischen Werk immer wieder hierhin zurückkehrte. Zuweilen auch in Wirklichkeit.

Der Buchentalweg zwischen Steinfeld und Steinbach ist dem Schriftsteller Hermann Sendelbach gewidmet. Auf einem Sandsteinfindling unweit der Buchenmühle ist eines seiner Gedichte zu lesen: „Wer lange lebt, der wird auch dies erleben, | wie kurz zuletzt ein langes Leben war, | viel mehr nicht als ein flüchtig Wimpernheben | und als ein leichtes Streichen übers Haar.“ | Foto: B. Schneider
Der Buchentalweg zwischen Steinfeld und Steinbach ist dem Schriftsteller Hermann Sendelbach gewidmet. Auf einem Sandsteinfindling unweit der Buchenmühle ist eines seiner Gedichte zu lesen: „Wer lange lebt, der wird auch dies erleben, | wie kurz zuletzt ein langes Leben war, | viel mehr nicht als ein flüchtig Wimpernheben | und als ein leichtes Streichen übers Haar.“ | Foto: B. Schneider
Seit über 600 Jahren bringen die Menschen ihre Gebete und Bitten vor die Gottesmutter in Mariabuchen. | Foto: B. Schneider

Die 1938 geborene Anneliese Brey, die schon als kleines Mädchen im elterlichen Kiosk gegenüber der Wallfahrtskirche Mariabuchen half und in diesem jetzt noch immer Rosenkränze, Kerzen und andere Andachtsgegenstände unters fromme Volk bringt, hat lebhaft vor Augen, wie der als Pädagoge und Autor zu Ansehen gelangte Hermann Sendelbach den Gottesdienst bei den Kapuzinern besuchte. „Und wie er anschließend in der unten am Bach gelegenen Pilgergaststätte ‚Buchenmühle’ einkehrte“, fügt sie augenzwinkernd hinzu. Ihr Mann Paul war der Wirtssohn und dessen Tante Josephine eine Schulkameradin Sendelbachs. Deren Korrespondenz hütet sie in ihrem Bücherschrank zusammen mit zum Teil signierten Ausgaben Sendelbach’scher Prosa und Lyrik. Vor 100 Jahren, 1919, erschien „Vergesst es nicht!“, worin der Mittzwanziger seine grauenvollen Erfahrungen als Soldat im Ersten Weltkrieg verarbeitete; mehrfach war er verwundet worden. Autobiographische Züge trugen auch viele weitere Veröffentlichungen: Aufgesang, 1928; Ein Weg, 1929; Vertrauensruf, 1933; Erdgeschwister, 1953; Unermesslicher Augenblick, 1956; Saat und Ernte – Tag und Nacht. Ein Bauernjahr, 1958; Vom freudigen Vertrauen, 1966; Johannes XXIII. Ein epischer Versuch, 1973; Kind zwischen Wäldern (Auswahl), 1976. Die letzten beiden wurden posthum herausgebracht; Mitte 1971 war Hermann Sendelbach verstorben. Seine Bücher sind nur noch antiquarisch erhältlich.

Hermann Sendelbach (8.4.1894–12.6.1971) – in dem zu seinem fünften Todestag herausgebrachten Sammelband „Kind zwischen Wäldern“. | Foto: Hohenloher Druck- und Verlagshaus
Hermann Sendelbach (8.4.1894–12.6.1971) – in dem zu seinem fünften Todestag herausgebrachten Sammelband „Kind zwischen Wäldern“. | Foto: Hohenloher Druck- und Verlagshaus

Woher rührte Vorliebe, sich schreibend mitzuteilen? Hermann Schaub hat dies vor 15 Jahren im Karlstadter Jahrbuch 2004/05 nachvollzogen: Ab Mai 1907 kümmerte sich die Tante in Reuchelheim im Werntal um die Halbwaise. In der Arnsteiner Präparandenschule kam Sendelbach erstmals in Kontakt mit Literatur.

1910 trat Sendelbach in das Lehrerseminar Würzburg ein. Nach seinem ersten Staatsexamen wurde er als Aushilfslehrer in Hausen bei Würzburg und Duttenbrunn (heute Ortsteil des Marktes Zellingen) eingesetzt. Eine feste Anstellung erhielt er 1914 in Pflaumheim bei Aschaffenburg und im September des gleichen Jahres in Aschaffenburg selbst. Bereits am 25. November wurde er zum Bayerischen Reserve-Infanterieregiment 5 eingezogen und an die Westfront geschickt. Fern der Heimat verfasste er seine ersten Gedichte.

Als Leutnant der Reserve im Dezember 1918 entlassen, trat Sendelbach im Januar 1919 wieder eine Lehrerstelle in Aschaffenburg-Damm an und legte sein zweites Staatsexamen in Würzburg ab. Zwei Jahre studierte er noch in Jena, Würzburg und München, ehe er wegen des inflationsbedingten Geldmangels abbrechen musste. Nach einer kurzen Beschäftigung als Lehrer in Schweinheim bei Aschaffenburg tauschte er die Stelle und zog nach München.

Am 27. Februar 1923 heiratete er Johanna Wiesengrund, eine Verwandte von Theodor W. Adorno. In München fand er einen Kreis von literarisch interessierten Lehrerkollegen. Bereits im Krieg hatte er den Schriftsteller Georg Britting kennengelernt, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband. Neben der Mitwirkung an der nur kurzzeitig verlegten Zeitschrift „Das Gegenspiel“ 1925, erschien 1928 sein erster Gedichtband „Aufgesang“. Weitere Gedichtveröffentlichungen in Buchform und in Zeitungen und Zeitschriften fanden wohlwollende Anerkennung von so Prominenten wie Thomas Mann und Hermann Hesse. Kleine Prosastücke wurden in Lesebücher für bayerische Volksschulen aufgenommen.

Da seine Frau Halbjüdin war, begannen mit dem Dritten Reich für das Ehepaar Sendelbach große Sorgen und Furcht. Hermann wirkte ab dem August 1943 in einem Lager der Kinderlandverschickung in Kolbermoor und ab Januar 1945 in einem entsprechenden Lager in Endorf. Als politisch Unbelasteter konnte er sofort nach dem Zweiten Weltkrieg wieder seine alte Lehrerstelle antreten. 1959 trat er in den Ruhestand. Der Tod ereilte ihn 1971 während eines Urlaubs in Schliersee.


Auszüge aus 
„Erster Mettegang“

Immer wieder bat ich die Mutter, mich ganz gewiß nicht verschlafen zu lassen, und fiebernd von der genossenen Freude und mehr noch von dem erwarteten Glück sank ich in traumverfangenen Schlaf. Als sie aber kam, mich zu wecken, waren die drei Stunden, ich mir zuvor so endlos schienen, zum Augenblick zusammengeschrumpft, und aus der bunten Wirrnis des Traumes rang ich mich nur mühsam empor. (…)

Ich trat in die sanft erhellte Stube. Da lagen noch die Geschenke gebreitet, da blitzte der Christbaum, da roch es nach Harz und nach Pfeffernüssen, und alles Weihnachtsglück kehrte wieder. Es polterte an der Haustüre, Gregor, der Freund, kam hereingestapft, die Mütze über die Ohren gezogen, die lange, dicke Wollbinde ein paarmal um den Hals geschlungen, große Fäustlinge an den Händen. Mäntel kannten wir Buben nicht. (…)

Es dauerte uns viel zu lange, bis die Mutter fertig war. (…) Wir tauchten in die weihevolle Kühle der Nacht. (…) Im Stall erwachten einige Tiere, Ketten klirrten, ein Muhruf ertönte. Die Mauer entlang flog der Schein des Laternchens, er huschte über die Latten am Zaun und über die Pfosten, die dicke, glitzende Mützen trugen.

Scharf knirschte der Schnee unter unseren Schritten, das Licht betastete suchend den Weg, traf manchmal den schwarzen Stamm eines Obstbaumes. Wir Buben liefen ein Stückchen voraus, von dem Ehrgeiz erfüllt, den Pfad auch ohne Laterne zu finden. Und bald schon gewöhnten die jungen Augen sich an das milde Leuchten der Nacht, das aus der Reine des Schnees emporstieg und von den Sternen herniederfloß. (…) Schwer bogen sich die Äste der Fichten, der Schein der Laterne streifte darüber und weckte ein Funkeln in Schneekristallen. Bisweilen löste sich eine Last, wallte als glitzender Schleier nieder und überstäubte uns mit Kühle. (…)

Auf geländerlosem, steinernem Steg überschritten wir behutsam den Bach, der unter dem dünnen Eise gluckste. Drüben der Anstieg zur halben Höhe des Buchenberges unterwarf die drängende Ungeduld einer letzten Probe. (…) Die Pforte tat sich auf, das Licht sprang uns an und blendete die der Nacht gewohnten geweiteten Augen. (…)  Die Altäre strahlten in Kerzen und Blüten, und im goldenen Schrein die Gnadenmutter schien nicht schmerzhaft heute, sondern getröstet und beseligt. (…) 

Als wir heimwärts stapften, kam es wie Mitleid in unsere Herzen, Mitleid mit den Tieren des Waldes, weil sie an dem Glanz und der Freude, die wir zuvor empfangen hatten, nicht teilhaben durften. Aber es tröstete uns der Glaube, daß in der heiligen Mettestunde auch zu ihnen das Christkind komme (…).

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