Pracht und Glaube im Aschaffenburger Stiftsmuseum

Thomas Schauerte, seit zweieinhalb Jahren Direktor der Museen der Stadt Aschaffenburg und damit auch Leiter des Stiftsmuseums, stapelt erst einmal tief: „Das Hochstift Mainz, dessen größtes geschlossenes Gebiet sich am und im Spessart erstreckte, war wirtschaftlich keines der reichsten Bistümer in Deutschland.“ Dann schiebt der promovierte Kunsthistoriker nach: „Aber die hiesigen Erzbischöfe waren politisch und geistlich sehr einflussreich.“ So häuften sie in ihrer Nebenresidenz Aschaffenburg, wo sie als Vorsitzende des Stiftskapitels fungierten, einzigartige Schätze an. Diese sakrale Kunst aus dem 13. bis 19. Jahrhundert kann in einer stimmig gegliederten Dauerausstellung täglich außer montags besichtigt werden; einzelne Stücke sind zu besonderen Gelegenheiten noch in liturgischem Gebrauch. 

Erst am 16. Oktober hielt der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer in der Stiftsbasilika ein Pontifikalamt aus Anlass des Marianischen Kongresses. Mit dabei: eine barocke Strahlenkranzmadonna von 1750 aus dem Stiftsmuseum; sie ist Eigentum der seit über 400 Jahren bestehenden Männersodalität. 

Die Strahlenkranzmadonna der Männersodalität.
Die Strahlenkranzmadonna der Männersodalität.

Ebenso werden zum Patrozinium die Reliquare von St. Peter und Alexander, zwei vergoldete und mit Edelsteinen besetzte Silberbüsten aus der Zeit um 1450 und 1480, aus der mit Panzerglas gesicherten Vitrine geholt. „Das sind nicht einfach nur Exponate“, unterstreicht Dr. Schauerte. Fast schon Kurioses weiß er zum frühesten hier präsentierten Kunstwerk zu berichten: Das Gemälde aus dem 13. Jahrhundert zeigt Christus als Weltenrichter. Zu dessen Rechten steht Petrus, zur Linken Alexander. Das Bildnis der Kirchenpatrone gehörte mit größter Wahrscheinlichkeit zur Ausstattung des Chors, war vermutlich Teil des Hochaltars. Die Motive sind aufgebracht auf Eichenbohlen. Die Farbe Gold dominiert. Das gefiel wohl irgendwann nicht mehr. Jedenfalls diente dieses Brett fortan umgedreht als Holzdiele, bis der vergessene Schatz 1986 beim Öffnen des Bodens entdeckt wurde.

Residenz am Untermain

Seit 1861 beherbergt das Kapitelhaus des schon um 950 von Familienmitgliedern des Kaisers Otto des Großen gegründeten Stiftes St. Peter und Alexander ein Museum. Aufwendig saniert wurde der Bau zuletzt 1994. Er ist rund um einen um 1220 angelegten Kreuzgang angeordnet. Selbiger zählt in Deutschland zu den wenigen vollständig erhaltenen Kreuzgängen aus der Romanik. 

Das Aschaffenburger Stiftsmuseum befindet sich seit 1861 im ehemaligen Kapitelhaus.
Das Aschaffenburger Stiftsmuseum befindet sich seit 1861 im ehemaligen Kapitelhaus.

Eine Glanzeit erlebte Aschaffenburg im Mittelalter und in der Renaissance dank wohlhabender Stifter und vor allem dank Kardinal Albrecht von Brandenburg. Denn der nach dem Kaiser zweitmächtigste Mann im Reich wählte die Stadt am Untermain ab 1541 als seine Residenz. „Und er kam mit großem und wertvollem Gepäck“, wie Dr. Schauerte mit Freude berichtet. Über dieses Kapitel könnte der Museumsdirektor lange und frei referieren. Kuratierte er doch 2006 eine Sonderausstellung in der Moritzburg in Halle an der Saale, wo Albrecht ursprünglich residierte.

Der einstige Markgraf von Brandenburg war in den geistlichen Stand gewechselt. 1513 stieg er zum Fürsterzbischof von Magdeburg sowie zum Apostolischen Administrator von Halberstadt auf. Im darauffolgenden Jahr wurde er zudem Erzbischof von Mainz, Kurfürst und Erzkanzler des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Für seine ambitionierten Bauvorhaben benötigte er viel Geld. Er kassierte Unsummen, indem er den Gläubigen anbot, sich von Strafen im Fegefeuer freizukaufen; nur die Hälfte der Einnahmen schickte er dem Papst nach Rom. Gegen diesen Ablasshandel wetterte Martin Luther. Albrecht unterschätzte die Wucht der Reformation und musste schließlich aus der Moritzburg fliehen. Zuvor hatte er dem Luther-Freund Lucas Cranach dem Älteren den größten Gemäldeauftrag der älteren deutschen Kunstgeschichte erteilt: 16 Flügelaltäre mit 142 Bildern. 

Bonbonfarbene Buntheit

Der sogenannte Magdalenen-Altar war für die Neue Stiftskirche in Halle als Grablege des Kardinals bestimmt. Als der höchste katholische Repräsentant aus Mitteldeutschland vertrieben wurde, nahm er den Altar mit. Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts stand dieses herausragende Werk der Malerei der Reformationszeit in der Aschaffenburger Stiftsbasilika. Dann wurden die Tafeln während der Säkularisation getrennt und an verschiedenen Orten verwahrt. Schließlich wurden sie als nicht mehr transportabel eingestuft. Dr. Schauerte konnte jedoch die Verantwortlichen der Bayerischen Staatsgemäldesammlung überzeugen, den Magdalenen-Altar für jene sachsen-anhaltinische Ausstellung restaurieren zu lassen. Die Mitteltafel allein misst 2,60 Meter in der Höhe und 1,95 Meter in der Breite. Die Auferstehung Christi ist hier dargestellt – „in bonbonfarbener Buntheit“. So beschreibt Dr. Schauerte den Stil Cranachs. Und er fügt hinzu, dass die Urfassung wiederhergestellt wurde: Ein praller Frauenpo, der aus Prüderei von einem Gebüsch verdeckt worden war, prangt ganz unverhüllt.

Der Magdalenen-Altar von Lucas Cranach dem Älteren kehrte 2008 als Dauerleihgabe der Bayerischen Staatsgemäldesammlung zurück auf den Aschaffenburger Stiftsberg. Übermalungen wie die eines blanken Pos waren entfernt worden.
Der Magdalenen-Altar von Lucas Cranach dem Älteren kehrte 2008 als Dauerleihgabe der Bayerischen Staatsgemäldesammlung zurück auf den Aschaffenburger Stiftsberg. Übermalungen wie die eines blanken Pos waren entfernt worden.

Zentraler Ort des katholischen Glaubens in Aschaffenburg: die Stiftsbasilika.
Zentraler Ort des katholischen Glaubens in Aschaffenburg: die Stiftsbasilika.

Im Zuge der Aschaffenburger Ausstellung „Cranach im Exil“ kehrte der Altar als Dauerleihgabe zurück auf dem Stiftsberg. Dorthin weisen in der Innenstadt an vielen Straßenlaternen kleine Schildchen mit der Aufschrift „Pracht und Glaube“. Das seien für die Menschen im Mittelalter keine Gegensätze gewesen, heißt es auf einem Handblatt: „Die größtmögliche Meisterschaft der Künstler und die Kostbarkeit des Materials dienten ihnen als würdigster Ausdruck für die Gnade und das Wirken Gottes auf Erden.“ 

Nichtsdestotrotz fehlt im Stiftsmuseum auch die religiöse Volkskunst nicht, zum Beispiel Votivbilder und ein geschnitzter Palmesel aus Miltenberg. Im Obergeschoss der Nikolauskapelle ist im ehemaligen Stiftskarzer sogar eine Folterkammer eingerichtet – nicht zum Ausprobieren. Angefasst werden darf unter anderem im Untergeschoss die nachgefertigte Rüstung eines römischen Legionärs einschließlich dessen Kettenhemds und in der Abteilung Archäologie ein Steinzeitbohrer. Dass etliche Ausstellungsstücke immer wieder zum Einsatz kommen, zeichnet das Stiftsmuseum eben aus.

Miltenberger Palmesel
Miltenberger Palmesel
Vortragsstange mit der Darstellung des Walldürner Blutwunders. Eine Lindenholzschnitzarbeit aus der Zeit um 1730. Der Legende nach geschah das Wunder 400 Jahre zuvor: 1330.
Vortragsstange mit der Darstellung des Walldürner Blutwunders. Eine Lindenholzschnitzarbeit aus der Zeit um 1730. Der Legende nach geschah das Wunder 400 Jahre zuvor: 1330.
Anfassen erlaubt: die nachgefertigte Rüstung eines römischen Legionärs.
Anfassen erlaubt: die nachgefertigte Rüstung eines römischen Legionärs.

Eine Frage der Eh(r)e

Eine Anekdote wird im Aschaffenburger Stiftsmuseum nicht im Detail aufgeführt, aber durch zwei Cranach-Bilder angedeutet. Demnach hat Albrecht von Brandenburg 1525 Martin Luther zur Hochzeit mit der früheren Zisterzienserin Katharina von Bora zehn Gulden geschenkt. Das war ein stattlicher Betrag. Der Reformator bedankte sich aber nicht, sondern teilte seinem Gönner nur mit, es sei nun an der Zeit, dass auch der Kardinal seine Konkubine eheliche. Selbige hatte Albrecht als die heilige Ursula malen lassen. Seine eigenen Gesichtszüge trägt auf einem anderen Gemälde der Mainzer Bistumspatron St. Martin.

Der Kardinal und seine Konkubine als St. Martin und St. Ursula.
Der Kardinal und seine Konkubine als St. Martin und St. Ursula.

Mit Heiligen kannte sich Albrecht aus: Er hatte eine Sammlung von rund 20 000 Reliquien. Aus seinem Besitz befindet sich im Stiftsmuseum ein Kalender, der Reliquien der 365 Tagesheiligen des Kirchenjahres beinhaltet(e).

Der Reliquien-Jahreskalender Albrechts von Brandenburg.
Der Reliquien-Jahreskalender Albrechts von Brandenburg.

| Fotos: B. Schneider

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