Sagenhafter Kirchenbau im Spessart

Germanischer Baumkult, Antisemitismus, Übertragung des göttlichen Willens auf Tiere, … Irritierend, womit unsere christlichen Pilgerstätten zum Teil in Verbindung gebracht werden können.

Der Mai ist der Marienmonat. Die jetzt häufig aufgesuchten Gnadenorte gehen auf vermeintlich mystische Ereignisse zurück. Einige, die sich im Mainviereck zugetragen haben sollen, hat ein Schüler der 12. Jahrgangsstufe des Franz-Ludwig-von-Erthal-Gymnasiums Lohr untersucht und interessante Parallelen identifiziert. Der Titel seiner rund 20-seitigen Abhandlung: „Sagenhafter Kirchenbau im Spessart“. 

Jakob Schuhmann aus Steinfeld | Foto: B. Schneider
Sagen ranken sich um viele Kirchenbauten. Im Rahmen seines wissenschaftspropädeutischen Seminars beschäftigte sich der Abiturient Jakob Schuhmann mit etlichen im Spessart näher.  |  Foto: B. Schneider

Jakob Schuhmann war jahrelang Ministrant in seiner Heimatgemeinde Steinfeld auf der Fränkischen Platte; die Wallfahrtskirche Mariabuchen liegt nur drei Kilometer entfernt. Religiös und regional. So wählte der 18-Jährige den Schwerpunkt im sogenannten wissenschaftspropädeutischem Seminar, in dem die Abiturienten an wissenschaftliche Arbeiten herangeführt werden. Unter anderem werden vergleichende Betrachtungen verlangt. Deshalb hat Jakob sein geografisches Forschungsgebiet bis an den Untermain ausgedehnt:

In Röllbach soll sich um das Jahr 1500 Vieh vor einem Gebüsch niedergekniet haben. Der Hirte entdeckt ein hölzernes Bildnis der Gottesmutter. Maria und Jesus brauchen ein Zuhause. Aber wie groß? Mitten im Sommer fällt Schnee. Er bleibt aber nicht überall liegen, er zeichnet den Grundriss der Maria-Schnee-Kapelle. Der kurmainzische Amtmann will den Bau verhindern. Vor Ort bewegt sich sein Pferd nicht mehr von der Stelle. Als er es anspornt, springt es zwar davon, doch seine Hufeisen bleiben zurück. Jetzt akzeptiert der Bezirksverwalter die höhere Macht.

In Rengersbrunn, dessen Name sich von Regisborn (Königsquelle) ableitet, da sich hier angeblich Barbarossa auf einer Jagd erfrischt hat, sind es ebenfalls Tiere, die um 1460 an diesem Brunnen einen wesentlichen Hinweis geben. Schafe fallen auf die Knie. Der Hütehund kriecht unter einen Haselnussstrauch. Darin entdeckt der Schäfer eine lebensgroße, hölzerne Marienstatue mit Jesuskind. Die Figur ist für die Kirche im nahen Burgsinn zu groß, wird abgesägt. Am nächsten Tag steht sie wieder komplett am Regisborn. Zu ihrem Schutz wird eine Kapelle aus Holz errichtet, 1777 dann eine größere aus Stein. Ein Brandmal im Gesicht Mariens soll daher rühren, dass Schweden im Dreißigjährigen Krieg die Statue ins Feuer geworfen haben.

In Hessenthal rankt sich wiederum eine Sage um eine Maria im Haselnussstrauch. Die Haselnuss ist sogar namensgebend für den Ort – nicht die spätere Landgrafschaft Hessen. Hier kommen ein Ritter und ein Köhler vorbei. Letzterer berichtet von einem Wunder, das der Edelmann anzweifelt. Aufgebracht fährt er mit seinem Schwert durch einen Haselnussstrauch. An seiner Klinge klebt Blut. Sie hat eine Muttergottesstatue getroffen. Der Ritter bereut und stiftet eine Kapelle, die bald die Betenden nicht mehr fassen kann. Eine weitere Kirche wird errichtet, zuletzt noch eine durch die Echter von Mespelbrunn. Ablässe werden in Hessenthal schon im 13. Jahrhundert verliehen. Das jetzige Gnadenbild wird um 1480 geschaffen. Wann hat sich was ereignet? (In der zweiten Kapelle ist als älteste Jahreszahl 1272 vermerkt. Seit 1248 soll Hessenthal als Köhlerhüttensiedlung existieren.)

Gemälde von der Auffindung des Gnadenbildes von Mariabuchen im dortigen Kloster | Repro: B. Schneider
Aus den Überlieferungen über den Ursprung von Mariabuchen lässt sich eine Menge herauslesen: unter anderem die sich über Jahrhunderte fortsetzende Abneigung gegen jüdische Mitbürger und Bezüge zum germanischen Baumkult. Die Sage vom Auffinden des Gnadenbildes ist auf einem Ölgemälde im Treppenhaus des Klosters Mariabuchen dargestellt.  |  Repro: B. Schneider

In Mariabuchen lässt sich das Auffinden der wundersamen Marienfigur genauso wenig datieren. Die älteste schriftliche Überlieferung stammt von 1591. Demnach soll ein Hirte das Bildnis der heiligen Frau geschnitzt und in eine Astgabel gestellt haben, wo es ganz und gar eingewachsen ist. In diese Buche am Weg von Wiesenfeld nach Lohr sticht ein Jude mit seinem Dolch, woraufhin er ein Klagen hört. Als er seinen Dolch zurückzieht, ist die Spitze rot von Blut. Er erstarrt. Jene hölzerne Maria mit einer Verletzung am Rücken wird geborgen. Kranke, die sich ihr anvertrauen, werden geheilt. 1434 veranlasst der Würzburger Fürstbischof Johann von Brunn den Bau der ersten Wallfahrtskirche im Buchental.

Schmerzhafte Muttergottes von Mariabuchen | Foto: B. Schneider
Schmerzhafte Muttergottes von Mariabuchen  |  Foto: B. Schneider

Wo eindeutige Belege für die Umstände des Kirchenbaus fehlen, kam es zu Spekulationen. „Diese wurden über Generationen hinweg weitererzählt und fantasievoll ausgeschmückt“, hat Jakob Schuhmann beim Auswerten seiner vor allem in der Würzburger Unibibliothek und im Lohrer Spessartmuseum gefundenen Quellen feststellen müssen. Dass in einem Waldgebiet wie dem Spessart in fast allen Erzählungen Bäume und Sträucher eine wichtige Rolle spielen, wundert ihn nicht; die Germanen betrieben schon einen Baumkult. Dass Tiere den Menschen „weissagen“, hat Jakob in zahlreichen Heiligenlegenden lesen können. Und auch dass einem zürnenden Ritter leichter vergeben wird als einen ebensolchen Juden, davon zeugen etliche Pogrome in verschiedenen Jahrhunderten.

Seine Seminararbeit hat Jakob Schuhmann übrigens nicht im Fach Geschichte, sondern Deutsch erstellt. Nach dem Abitur möchte er ein Duales Studium „Vermessung und Geoinformatik“ absolvieren, um als Mitarbeiter im Amt für ländliche Entwicklung Dorferneuerungen zu begleiten. Bestimmt wird er dabei noch öfters auf sagenhafte Bauwerke stoßen.

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