Schiffe schauen in der Kirche

Zur Kirche zu gehen, bedeutet in Wörth zweierlei: den Gottesdienst oder das Schifffahrts- und Schiffsbaumuseum zu besuchen. Letzteres befindet sich in der Altstadt in der ehemaligen St.-Wolfgangskirche und gibt – aufgrund einer seltenen Doppelempore – auf drei Ebenen Einblick in ein besonderes Kapitel fränkischer Kultur-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Alte Zeichnungen und Fotos, abwechslungsreiche Lebensbeschreibungen, im Original erhaltene Werkzeuge und Gerätschaften sowie detailgetreue Modelle zeigen die Entwicklung und die bis heute große Bedeutung des Schiffsbaus und -verkehrs am Untermain.

Des Öfteren lief das Mainwasser in Wörth in die Häuser.
Des Öfteren lief das Mainwasser in Wörth in die Häuser.

Nach schweren Überschwemmungen vor 140 Jahren siedelte die Wörther Bevölkerung auf hochwasserfreiem Gelände. Die Kirche St. Nikolaus in Neuwörth war nun ab 1898 geistlicher Mittelpunkt für die ganze Stadt. St. Wolfgang wurde 1903 profaniert, diente als Lager und Turnhalle, war dem Verfall preisgegeben. 1985 erwarb die Kommune das Baudenkmal aus rotem Sandstein. 

Der früheste Beleg für eine Kirche in Wörth stammt von 1328; ein Wehrturm der Stadtmauer war zugleich Glockenturm. Das anfängliche Marienpatrozinium wechselte wohl, als man von 1729 bis 1748 einen Neubau mit barocker Ausstattung errichtete. Die Restaurierung Ende der 1980er-Jahre erfolgte allerdings nach dem Befund von 1830/31.

Die ehemalige St.-Wolfgangskirche in Wörth ist ein Museum.
Die ehemalige St.-Wolfgangskirche in Wörth ist ein Museum.
Jüngste Attraktion sind Modelle historischer Segelschiffe aus dem Nachlass des Röllbacher Pfarrers Dieter Feineis.
Jüngste Attraktion sind Modelle historischer Segelschiffe aus dem Nachlass des Röllbacher Pfarrers Dieter Feineis.

Am „nassen Limes“

1991 wurde das Museum eröffnet. Ein Förderverein mit rund 170 Mitgliedern kümmert sich um den laufenden Betrieb. Führungen sind nach Vereinbarung unter 09372 98930 oder info@schiffsmuseumwoerth.de jederzeit möglich. Regelmäßig sind Gäste willkommen von November bis März sonntags von 14 bis 17 Uhr und von April bis Oktober zusätzlich samstags zur gleichen Zeit. Im Nachbaranwesen können sie ferner eine historische Nagelschmiede besichtigen. Außerdem verschafft die Museumsaufsicht am Ende derselben Straße Zutritt zum sogenannten Bürgerhaus, dem alten Rathaus, wenn hier jemand die Dauerausstellung „Römerzeit“ aufsuchen möchte. Das Fachwerkgebäude beherbergte bis 1974 die Stadtverwaltung. Seit 2004 werden im Dachgeschoss Funde aus römischen Kastellen der Region präsentiert. Die Heerlager sicherten den „nassen Limes“. Die Kelten nannten den „Moin“ wegen seinen vielen Windungen gekrümmte Schlange.

Einst Rathaus - jetzt Ausstellungsort für die römische Vergangenheit Wörths.
Einst Rathaus – jetzt Ausstellungsort für die römische Vergangenheit Wörths.

Das Maintal entstand nach der Eiszeit. Der Fluss schüttete Sand- und Kiesschichten auf und grub sich schließlich in diese ein. Die Witterung beeinflusste sehr stark die Wasserführung und -tiefe. Die Hochwasser vor allem im Frühjahr und Herbst verursachten Uferabbrüche, Überschwemmungen und Verlandungen. Es entstanden Terrassen. Die Landschaft rund um Wörth im Herzen der jetzigen Urlaubsregion Churfranken zwischen Spessart und Odenwald ist geprägt von steilen Weinbergen, vielen Biotopen wie Auwiesen, aufgelassenen Steinbrüchen und Streuobstbeständen sowie bewaldeten Höhen.

Holz aus dem Stadtwald bildete einst in Wörth die Voraussetzung, Schiffe zu bauen und zu reparieren. Im Frankenreich wuchs wegen schlechter Landwege die Bedeutung der Flüsse für den Transport von Waren. Die deutschen Könige hatten die Hoheitsbefugnis. Sie ordneten den Verkehr auf den fließenden Reichsstraßen, gaben Geleit und erwarteten dafür Abgaben. Die Landesherrschaften betrieben bis 1803 am Main 32 Zollstellen. Auf Druck Preußens wurden 1867 die letzten aufgehoben. Die Einführung der Gewerbefreiheit im 19. Jahrhundert garantierte zudem, fortan den Schifferberuf ohne Zunftzwang frei ausüben zu dürfen.

Führend in Deutschland

Matthias Bayer, der zusammen mit Alois Gernhart und Rudolf Stegmann dem Museumsförderverein vorsitzt, erklärt stolz: „Wörth hat aktuell bezogen auf unsere rund 4700 Einwohnerinnen und Einwohner mit 14 hier registrierten Schiffen die höchste Schiffsdichte in Deutschland.“

Flaggenbaum am Mainufer in Wörth.
Flaggenbaum am Mainufer in Wörth.

Ursprünglich beförderten die Wörther natürlich die vor Ort gewonnenen Rohstoffe, insbesondere Holz und Buntsandstein. Die Abhängigkeit vom Wetter erschwerte damals die Schifffahrt ungemein. Im Winter ruhte sie ganz. 

Kanalprojekte blieben nicht aus. Schon Karl der Große ließ im 8. Jahrhundert eine Verbindung zwischen Altmühl und Rezat graben, die Fossa Carolina, um durchgehend auf dem Wasser vom Rhein zur Donau zu gelangen. Von 1836 bis 1848 schaffte es Ludwig I. von Bayern die Steigungen auf der 173 Kilometer langen Strecke von Bamberg bis Kelheim mittels 101 Kammerschleusen zu überwinden. Die schmale Rinne taugte jedoch nur für Schiffe mit einer Tragfähigkeit bis 120 Tonnen. Für Ladungen bis zu 2500 Tonnen plante die Rhein-Main-Donau AG die ab 1959 ausgebaute neue Großschifffahrtsstraße. Den Main selbst treppenartig zu regulieren, war schon 1883 in Angriff genommen worden; 27 Staustufen fertigzustellen, dauerte bis 1962.

Museumspädagogik: Nach diesem Prinzip funktioniert eine Staustufe.
Museumspädagogik: Nach diesem Prinzip funktioniert eine Staustufe.

Unter Dampf ab 1842

Von einer traditionellen Schifffahrt spricht man bis etwa 1800. Danach folgten große Veränderungen. Die Mainschiffer empfanden die Dampfschiffe zunächst als Bedrohung. Die Fischer fürchteten zudem um die Laichbänke. Ende 1842 nahmen die beiden Seitenraddampfer der Main-Dampfschiffahrts-Gesellschaft Fahrt auf. 1858 löste sich die „Maindampf“ allerdings schon wieder auf, weil ihr die Eisenbahn in jeglicher Hinsicht überlegen war, zumal diese auch nicht mit Zöllen belastet war. 1894 verabschiedete die Landesregierung ein Gesetz zur Errichtung einer Kettenschifffahrt und beauftragte ausgerechnet die Staatseisenbahn damit, die königlich-bayerische Kettenschleppschiffahrts-Gesellschaft zu verwalten. 1912 verkehrten zwischen Aschaffenburg und Bamberg acht Kettenboote. 1936 wurden sie ausgemustert; Dieselmotorschlepper waren leistungsfähiger. Ihre Ära hatte um 1920 begonnen. Aber bereits 30 Jahre später setzte eine weitere Modernisierungswelle ein: Schubverbände kamen. Ein hintereinander gekoppelter Verband besteht aus Vorschiff mit Anker, Bugstrahlruder zum präzisen Manövrieren und kleiner Wohnung für Matrosen, aus Mittelschiff mit Laderäumen oder Tanks und aus Hinterschiff mit Antrieb (Motor mit Propeller und Rudern) und Wohnung für die Familie des Schiffsführers. 

Entlang der Kette hangelten sich die Schiffe den Main hinauf und hinunter.
Entlang der Kette hangelten sich die Schiffe den Main hinauf und hinunter.
Der Arbeitsplatz eines Mainschiffers.
Der Arbeitsplatz eines Mainschiffers.

Auf einer Tafel im Wörther Museum heißt es: „Das Binnenschiff ist ein sicheres Verkehrsmittel. Es fährt mit niedriger Geschwindigkeit: 8 km/h zu Berg, 20 km/h zu Tal.“ Deutlich schneller als zu Zeiten, als die hölzernen Schiffe noch von Pferden auf einem Leinpfad flussaufwärts getreidelt – mit Seilen gezogen – wurden. Bis zu 200 Tonnen Ladung konnten sie tragen, der kleiner Schelch immerhin bis zu 100 Tonnen und ein Nachen etwa vier Tonnen.

Um ein Holzschiff herzustellen, arbeiteten 13 bis 18 Männer Hand in Hand. Sie benutzten keine Pläne. Der ruhige und seichte Fluss bestimmte die schlanke Form mit niedrigen Seitenwänden, flachem Boden und hochgezogenem Bug. Den Eisenschiffsbau leiteten Ingenieure. Josef Zipprich errichtete extra eine neue Werft. Beispielsweise lief hier 1907 die Adolfine vom Stapel – mit 54 Metern das damals längste Schiff auf dem Main. Zehn Jahre später starb der Pionier. Seine Witwe gab die Firma auf, weil alle Söhne im Kriegseinsatz waren. Nach ihrer Heimkehr fanden sie Arbeit bei einer befreundeten Familie, die expandierte: Anton Schellenberger produzierte ab 1918 in der heute noch existierenden Bayerischen Schiffsbaugesellschaft mbH (BSG) auf dem gegenüberliegenden Ufer in Erlenbach. Er baute im Binnenland auch Seeschiffe.

Die Bayerische Schiffsbaugesellschaft (BSG) wurde von Wörth aus 1918 auf der Erlenbacher Mainseite angesiedelt und existiert heute noch.
Die Bayerische Schiffsbaugesellschaft (BSG) wurde von Wörth aus 1918 auf der Erlenbacher Mainseite angesiedelt und existiert heute noch.

Seeschiffe ist das Stichwort für die jüngste Attraktion des Schifffahrts- und Schiffsbaumuseums. Der langjährige Röllbacher Pfarrer und Ehrenbürger Dieter Feineis vermachte den Wörthern eine wertvolle Sammlung von Segelschiffsmodellen. Sein Vater, ein ehemaliger Marineoffizier, hatte jedes Exemplar eigenhändig gefertigt. So sonst sollte ein solcher Nachlass eines Priesters besser aufgehoben sein als in einer Museumskirche.

St. Nikolaus ist der Schutzpatron der Schiffer. Seine Figur darf in einer Schifffahrtsmuseumskirche freilich nicht fehlen.
St. Nikolaus ist der Schutzpatron der Schiffer. Seine Figur darf in einer Schifffahrtsmuseumskirche freilich nicht fehlen.
Schiffsglocke: funkelndes Metall und heller Klang.
Schiffsglocke: funkelndes Metall und heller Klang.

| Fotos: Bernhard Schneider

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