„Besonderes Flair kommt nicht von allein.“ Dieses Lob auf die Tatkraft der Bürger von Sulzfeld am Main und auf deren außerordentlichen Zusammenhalt steht auf einer Tafel neben der katholischen Pfarrkirche St. Sebastian. Die rund 1.300 Sulzfelder haben es geschafft, ihren Ort gleichermaßen für sich wie für Gäste immer attraktiver zu machen. „Mittlerweile liegt bei uns der Altersschnitt im Altort niedriger als im Neubaugebiet“, betonen Gerhard Schenkel und Matthias Dusel. Letzterer hat den Ersteren am 1. Mai nach 36 Jahren als Bürgermeister im Ehrenamt abgelöst.
Kontinuität wird in Sulzfeld groß geschrieben. Das Dorf ist auf rechtsmainischer Seite nahe bei Kitzingen und nicht weit von Ochsenfurt zwischen Fluss und Weinbergen „hineingezwängt“, kann sich trotz heftigen Interesses Zuzugswilliger nicht weiter ausdehnen. Die Zukunft muss sich also dort ereignen, wo sich schon seit kurz nach der ersten Jahrtausendwende alles abspielte.
Alt und Neu zu verbinden, ist für Gerhard Schenkel kein Widerspruch. Oder im Stil eines behördlichen Manifests formuliert: „Es geht um die Pflege des baulichen Erbes bei gleichzeitiger Förderung neuer baulicher Qualitäten zur Fortschreibung der Bau- und Architekturgeschichte.“
Die Baumärkte stellten die größte Gefahr für den Denkmalschutz dar, witzelt der Altbürgermeister – durchaus mit erstem Unterton. Er meint, dass der Gemeinderat eine „scharfe“ Gestaltungssatzung erlassen, doch zugleich ein großzügiges kommunales Programm aufgelegt hat, damit die Bürger sich fachlich beraten lassen können und finanzielle Unterstützung bei der Umsetzung erhalten. Wer beispielsweise seine Haustür aus Aluminium durch eine aus Holz ersetzt, kann die Kosten von der Gemeinde zu 30 Prozent und mit weiteren Mitteln aus staatlichen Töpfen insgesamt bis zur Hälfte erstattet bekommen.
Gerhard Schenkel erinnert sich, wie gewissermaßen als Pilotmaßnahme das historische Rathaus aus der Zeit Julius Echters saniert wurde. „Jetz habt Ihr mit unnerm Gaald endlich mal was Gscheits gemacht!“ So hätten viele reagiert und fortan mitgezogen, Sulzfeld auf hohem Niveau weiterzuentwickeln.
Medaillen im „Schönheitswettbewerb”
Externe Anerkennung bleibt nicht aus: Goldmedaillen auf Kreis-, Bezirks- und Landesebene im Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ und dann noch Silber im deutschlandweiten Vergleich. Als 2017 der Genussatlas für Bayern veröffentlicht wird, zählt Sulzfeld zu den auserwählten 100 besonderen Repräsentanten des Freistaats. Die hohe Dichte hervorragend gepflegter Denkmäler in Harmonie mit bemerkenswerten neuen Akzenten fällt ins Gewicht. Wein und Wurst bilden das andere Pfund, mit dem die Gemeinde im sogenannten „MainSüden“ wuchern kann.
1266 hat sich in Sulzfeld eine der größten Ritterschlachten zugetragen, und zwar am Gedenktag des heiligen Cyriakus. Der Cyriakusberg ist dementsprechend die bekannteste Weinlage Sulzfelds. Das Maustal gilt gar als „Große Lage“. Vom Sonnenberg wissen hingegen nur wenige Auswärtige. Die insgesamt gut 160 Hektar lassen sich auf einem 4,5 Kilometer langen und mit witzig-hintersinnigen Bildern des heimischen Künstlers Harald Schmaußer illustrierten Weinwanderweg erkunden – und natürlich auch im Glas; zwölf Winzerbetriebe sorgen für exklusive Geschmackserlebnisse. „Darunter Weingüter mit nationalen und internationalen Auszeichnungen!“, wirft Bürgermeister Dusel ein. Eines, der Zehnthof, soll gar Deutschlands älteste, vor über 140 Jahre angepflanzte Silvanerstöcke bewirtschaften sowie Deutschlands einzigen Wengert mit Rotem Silvaner, der allerdings ausgebaut wird wie der Blaue – nämlich als Weißer.
Noch mehr Superlative gefällig? Das älteste Straßenweinfest Frankens wird in Sulzfeld gefeiert, sofern nicht gerade eine Ausnahmesituation wegen Infektionsschutz herrscht. Jedenfalls pilgern schon lange Freunde des Frankenweins nach Sulzfeld. Außer Durst bringen sie freilich Hunger mit. 1953, so erzählt man sich, hat ein Mitglied des Würzburger Ruderclubs die ihm servierte Bratwurst gepriesen: „Die Wurst könnt ich meterweis ess.“ Lorenz Stark, Metzgermeister und damals Pächter des „Goldenen Löwen“, soll kurz darauf einen tatsächlich einen Meter langen Wurstkringel auf Sauerkraut aus der Küche getragen haben. Die Kunde verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Die Ausflügler verlangen in allen Gastwirtschaften die Bratwurst im XXL-Format. Deren Erfinder kauft sich ein eigenes Lokal hinter dem Rathaus. Sein Enkel kocht wieder im „Löwen“.
Der „Hirschen“-Wirt – seit 1999 ist das Thomas Hofer – wirbt damit, als einziger der Kollegen seine Meterbratwurst selbst vor Ort herzustellen. Und er bekennt offen, abweichend vom Originalrezept das Brät mit Zitronenabrieb statt mit Majoran zu verfeinern. Und: Meist würden die Gäste nur noch eine Halbmeterbratwurst bestellen. Kein Wunder, dass seit über 20 Jahren der Rekord ungebrochen ist: 1999 hat jemand im „Stern“ 5 Meter 60 von der Bratwurst inklusive Beilagen auf einmal verspeist.
Rundherum nicht ganz ein Kilometer
Ein Verdauungsspaziergang tut Not. In einer halben bis Dreiviertelstunde lässt sich Sulzfeld entlang des knapp einen Kilometer langen Mauerrings umrunden. Früher 23, jetzt 21 Wehrtürme reihen sich wie Perlen eines Rosenkranzes aneinander. Der höchste, der „Guck-ins-Land“, ist der Höhnleins-Turm. Keineswegs niedriger positioniert ist die Sebastianskirche. Julius Echter ließ 1602 den gotischen Kern renovieren und den Glockenturm aufstocken. Schließlich sollte die Grenze zwischen dem Hochstift Würzburg diesseits und der evangelischen Markgrafschaft Ansbach-Brandenburg jenseits des Mains gesichert werden. Die Kitzinger hätten sich mit Markgraf Archilles verbündet und sich in Sulzfeld blutige Nasen geholt, erzählt Altbürgermeister Schenkel noch immer ein wenig amüsiert. Die Zusammenarbeit mit den Nachbarkommunen funktioniert heute reibungslos: Beispielsweise wurde nach der „TraumRunde Kitzingen-Sulzfeld“ im vergangenen Jahr noch ein neuer europäischer Kulturwanderweg zwischen Sulzfeld und Segnitz unter dem Motto „Rettich – Rebe – Renaissance“ eröffnet.
Noch einmal zurück zur Pfarrkirche. Sie ist überwiegend neugotisch ausgestattet. Sehenswert sind allerdings auch die 1931 von dem Würzburger Heinz Schiestl geschaffenen Kreuzwegstationen. Ältestes Element und Blickfang im Altarraum ist eine Muttergottes aus der Riemenschneider-Schule; sie wurde um 1470 geschnitzt und befindet sich erst seit 1962 in der Kirche. Ursprünglich war sie eine Hausfigur unweit der „Drachengrotte“, eines einst bekannten Treffpunkts junger Leute aus der ganzen Region. Heiligendarstellungen sind in Sulzfeld an fast jeder Ecke anzutreffen. Manchem dienen sie beim Spaziergang als Orientierungshilfe, denn Sulzfeld hat keine Hauptstraße, an der man sich ausrichten könnte. Die Hauptverkehrsroute verläuft außerhalb der Ummauerung parallel zum Main.
„Vorgarten für alle” am Main
Am Flussufer hat Gerhard Schenkel sein letztes großes Projekt als Rathauschef verwirklicht. Er spricht von einem „Vorgarten für alle“ – mit Kiosk, Picknickwiese, Kinderbolzplatz, Schwimmstelle, Toiletten und Pkw-Abstellmöglichkeit. Letztere braucht’s, weil Auswärtige außer zum Abholen und Liefern nicht in den Ort fahren dürfen. Wirte wie Thomas Hofer klagen, dass beim Ausweisen der Parkflächen die Busreisegruppen zu wenig berücksichtigt worden seien. Bürgermeister Matthias Dusel beschwichtigt, das Tourismuskonzept werde nachjustiert. Er will „sanft und viel“ in Einklang bringen, wie es seinem Vorgänger mit „alt und neu“ gelungen ist. (Auch aus der Ferne kann man einen guten Eindruck davon gewinnen: Dieser Tage ging die neue Website www.sulzfeld-main.de online.)