Auf dem Kapitol steht der Senatorenpalast, das römische Rathaus. Aus der Wolle der Schafe, die am Palatin grasen, wird das Pallium gewoben, eine Art Stola – Amtsabzeichen, das der Papst den Metropoliten verleiht. Aventinus, Quirinal und so weiter. Sieben Hügel sind’s, auf denen die „ewige Stadt“ errichtet wurde. Mit dem Prädikat „Stadt“ kann Marktheidenfeld zwar erst seit 75 Jahren glänzen, doch tritt die hiesige Bevölkerung augenzwinkernd in Konkurrenz mit der Roms: Statt des Tibers hat sie den Main, vor allem aber ebenfalls sieben Hügel, von denen einer sogar Romberg heißt. Ein europäischer Kulturweg mit dem Kennzeichen des gelben EU-Schiffchens auf blauem Grund verknüpft sie. Ihn zu gehen, belebt Körper und Geist.
„Über sieben Hügeln kannst Du geh’n“ – unter diesem arg nach einem Lied aus den Achtzigern klingenden Titel hat der wissenschaftlich forschende Verein „Archäologisches Spessart-Projekt (ASP)“ diesen Rundwanderweg ausgewiesen. Das war vor nunmehr fünf Jahren. Während der Corona-Pandemie haben wohl sehr viele Einheimische bestimmte Abschnitte zu ihrer „Stammstrecke“ erkoren. Das wurde zumindest den beiden „Vätern“ dieser rund zwölf Kilometer langen Route, den promovierten Historikern Gerrit Himmelsbach und Leonhard Scherg, widergespiegelt. Ersterer ist ASP-Projektleiter und Kommunikationsvorstand des Spessartbundes, Letzterer Altbürgermeister und Ehrenbürger von Marktheidenfeld. Sie packten fundiertes Wissen in flüssige Texte für eine Reihe von Infotafeln. Lehrreich und unterhaltsam, zuweilen verschmitzt, stets wahrheitsgemäß.
Verkehrsgünstig gelegen
Wie Rom verdanke Marktheidenfeld seine Bedeutung neben dem Fleiß seiner Bürgerinnen und Bürger vor allem der Verkehrszentralität. So steht es schwarz auf weiß am Startpunkt, wo Fuß- und Radweg sowie alte Mainbrücke sich kreuzen. Unmittelbar daneben ein Parkplatz; wer sich die ganze Runde vorgenommen hat, stellt sein Auto besser anderweitig, zeitlich unbegrenzt, ab. Wandersleute, die auf Rucksackverpflegung verzichten, finden nach gut der Hälfte der Strecke eine Einkehr im ehemaligen (Obst-)Baumhof. Ansonsten wäre ein Abstecher in die Innenstadt erforderlich. Der Turm der Pfarrkirche St. Laurentius dient als Orientierung. Den vermeintlich schönsten Blick hat man vom Dillberg her, obwohl der nur 246 Meter aufragt – 60 Meter über der Talsohle.
Zurück zur attraktiven Lage von Marktheidenfeld: Heute zieht sich die Bundesautobahn A 3 in Ost-West-Richtung. Ehedem verlief am Spessartrand ein wichtiger Handelsweg, der die Messestädte Nürnberg und Frankfurt verband. Deshalb ließ der bayerische König Ludwig I. ab 1837 bis 1846 in Marktheidenfeld die erste steinerne Überquerung des Flusses zwischen Würzburg und Aschaffenburg auf Staatskosten bauen. Er wünschte, „römische Quader“ zu verwenden. Architekt Georg Heinrich May aus Aschaffenburg nahm sich „altrömische Vorbilder“.
Aktuell wird teils hitzig über Überlegungen diskutiert, einen der vier Pfeiler im Wasser zu entfernen, um richtig großen Schiffen beziehungsweise Schiffsverbänden die Durchfahrt zu ermöglichen. Mitte des 19. Jahrhunderts hatten die Frachter ein Fassungsvermögen von bis zu 90 Tonnen, jetzt reicht dieses bis fast 4000.
Lügenbaum am Main
Die spätere Kreisstadt Marktheidenfeld (MAR) erwuchs aus einer Fischer- und Schiffersiedlung. Von dieser Tradition zeugen am Mainkai ein Flaggenmast und zwei Eschen, die als Ersatz für ein nicht mehr vorhandenes stattliches Exemplar gepflanzt wurde. Der Volksmund sprach vom Lügenbaum. Da erfuhren die „nichtschiffischen Hädefelder“ von der weiten Welt und den riesigen Fängen. 1649 war die Fischerzunft die erste Berufsorganisation. Im Umfeld der Anlegestelle existierte unter anderem ein starkes Fassmachergewerbe; die Büttner fertigten die damaligen „Container“. Darin wurde jegliche Art von Waren transportiert, vornehmlich Wein.
Logischerweise wird es auf der Sieben-Hügel-Tour ein Weinberg sein, wo noch mehr über den Trank der Franken und die hiesigen Verdienste um den Fortbestand dieses Wirtschafts- und Kulturzweigs zu erfahren ist. Zunächst ist zu empfehlen, nahe des Marktplatzes das smalteblaue Franck-Haus aufzusuchen. Dies ist benannt nach einem Weinhändler, dessen Geschäfte so florierten, dass er sich auf der Fassade diese besondere und extrem teuere Farbe sowie innen in Stuck gearbeitete Allegorien und aufwendige Wand- und Deckenmalereien leisten konnte. Nach umfassender Sanierung wurde es vor 25 Jahren als neues städtisches Kulturzentrum eröffnet. Am ersten Mai-(Markt-)Wochenende ist ein Jubiläumsfest mit Musik, Ausstellungen und Führungen geplant. (Mehr unter www.marktheidenfeld.de.)
Ein Albtraum
Nun stadtauswärts und vorbei am Mehrgenerationenspielplatz und der „Römischen Mühle“, die von einer Familie namens Römisch betrieben wurde, endlich bergan. Der Waldwichtelweg (WWW) des Waldkindergartenvereins bietet reichlich Ablenkung. Auf dem Plateau die Augen nach links richten, um das Denkmal für den Marehans von „dem“ lokalen Bildhauer des 20. Jahrhunderts, Erich Gillmann, nicht zu verpassen! Am Dreimärker, wo die Gemarkungen Marktheidenfeld, Lengfurt und Erlenbach aneinanderstoßen, soll der liederliche Hans bestattet worden sein. Der Sage nach hat er sich erhängt, weil niemand mit dem unansehnlichen Geizhals zu tun haben wollte. Der Namensteil „Mare“ bedeute Albtraum, weiß Ex-Heimatpfleger Dr. Leonhard Scherg. Das Männchen habe alle verschreckt, die über die sumpfige Hochebene gelaufen kamen. Nach der Trockenlegung der Flächen wurde 1956 erwogen, sie als Militärflugplatz zu nutzen. 1978 stand zur Debatte, eine Justizvollzugsanstalt zu errichten. Schließlich wurde ein Gewerbegebiet erschlossen.
Unweit davon – dort, wo die Straße von Lengfurt steil ins Maintal abfällt, kann man in Stein gemeißelt die älteste Verkehrsvorschrift von Marktheidenfeld lesen: „Das Reiten und Fahren auf den Fussbaenken, sowie das Einhemmen ohne Radschu(h) ist bei Strafe von 1 k (Kreuzer) verboten.“
Mit angezogener Bremse also hinüber zum Kreuzberg, der als einziger der sieben Hügel mit Reben bestockt ist. Ab dem 19. Jahrhundert waren weite Teile wegen Schädlingsbefalls aufgegeben worden. Aber ein staatlicher Rebschnittgarten brachte die Rettung für den örtlichen Weinbau und weit darüber hinaus: Auf Stöcken aus Amerika, denen die Reblaus nichts anhaben konnte, wurden die fränkischen Sorten aufgepfropft und im ganzen Maingebiet verbreitet.
Der „heilige“ Berg
Der Kreuzberg ist mit 282 Metern der höchste und zudem der „heilige“ Berg Marktheidenfelds. Erst hängten die Gläubigen am Westhang Bilder von der Passion Christi an die Bäume. Dann zeigten sie das Karfreitagsgeschehen als Reliefs auf Säulen. Und letztlich brachten sie entsprechende Holzfiguren in Häuschen unter, die sie in fünf Dreiergruppen anordneten. Eigentlich eine Station zu viel. Die 15. dient der Kreuzverehrung durch die personifizierten Erdteile, wobei man zur Entstehungszeit von 1825 bis 1830 Australien noch ignorierte. 1842 wurde ein Kapellenbau genehmigt, aber erst 1889/90 ausgeführt. Der ursprüngliche Altar und die Figuren mussten 1938 einer aus der Pfarrkirche St. Bartholomäus in Waldbüttelbrunn übernommenen Barockausstattung weichen. Viele Brautpaare geben sich hier heroben das Jawort.
Die Vegetation des Kreuzbergs treibt tatsächlich seltene Blüten. Auf der dünnen Humusschicht über dem Kalksandsteinboden gedeihen beispielsweise Wacholder, Orchideen wie Helmknabenkraut und Frauenschuh, ferner Diptam und Küchenschelle sowie Felsenkirsche. 36,6 Hektar stehen seit 2001 unter Naturschutz. Dieses Gebiet schließt den benachbarten Romberg mit ein. Dessen Bezeichnung lehne sich freilich nicht an die italienische Hauptstadt an, klärt Dr. Scherg auf. Er vermutet, dass dafür altbayerische Vermessungsingenieure verantwortlich sind, die nach der Eingliederung Frankens „von München aus losgelassen“ wurden. Sie hörten womöglich von einer „Ramme“, mit der die Häcker die Pfähle in die Erde stießen. Ihre Form ähnelt die der Kuppe …
Eltert, Strick und Knuck bilden zusammen mit der neuen Nordbrücke einen Riegel mainaufwärts. Über das rechtsmainische Ufer ist der Mainberg, der mit 188 Metern niedrigste der sieben Hügel, schnell erreicht. Es schließt sich der Kreis auch thematisch: Am Mainberg setzten die Marktheidenfelder ihrem Regenten Ludwig I., der ihnen die erste Brücke und dadurch Wohlstand bescherte, ein Denkmal.
| Fotos: Bernhard Schneider