Gemeinsam mit einem Weingut in Ramsthal im Landkreis Bad Kissingen haben die Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) und das Amt für Ländliche Entwicklung Unterfranken begonnen, ein neues Kapitel der fränkischen Kulturgeschichte zu schreiben: Mit vereinten Finanzmitteln, Know-how und Tatkraft strukturierten sie eine Steillage von einer sogenannte Direktzuganlage in eine querterrassierte Rebfläche um; auf den Böschungen gedeihen als regionaltypische Magerraseneinsaat Gräser, Wildblumen und -kräuter und sorgen für ein artenreiches, intaktes Ökosystem. Der rund zwei Hektar große Weinberg der Familie Neder ist das erste öffentlich geförderte Projekt für ein nachhaltiges, in Zukunft empfohlenes Bewirtschaftungsverfahren auf Basis einer hohen Biodiversität.
Dr. Beate Wende, Wildlebensraumberaterin an der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) in Veitshöchheim, schnuppert an roten, blauen, gelben, orangen Blüten, lässt verschiedene Rispen durch ihre Finger gleiten, kann kaum länger als ein paar Sekunden in eine Richtung schauen, ohne dass schon wieder ein Surren und Brummen ihre Aufmerksamkeit auf sich zieht. Artenvielfalt in Flora und Fauna! Sehr passend anlässlich der vom Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ausgerufene Woche der Biodiversität vom 16. bis 22. Mai 2022.
Zwar unterhält die LWG seit einigen Jahren einen kleinen querterrassierten Versuchsweinberg, aber im Betriebsalltag traute sich bisher kein heimischer Winzer daran, das Prinzip bei sich umzusetzen. Für ihre Pionierleistung belobigte Jürgen Eisentraut, Leiter des Amtes für Ländliche Entwicklung (ALE) Unterfranken die Neders jetzt als „Helden der Heimat“.
In Steillagen besser quer statt längs
Vater Ewald und Sohn Lorenz Neder in Ramsthal sehen trotz unterschiedlicher Akzente in der jeweiligen Ausbildung übereinstimmend für gewisse Weinberge wie eben jenen mit rund 60 Prozent Steigung deren Zukunft in dieser Form der Bewirtschaftung. Auf die zwei Hektar pflanzten sie im vergangenen Jahr 5100 Rebstöcke – im unteren Teil Silvaner und im oberen Grauburgunder. Bei Direktzuganlagen passt diese Menge auf die Hälfte der Fläche. Bei quer statt längs verlaufenden Fahrwegen von zweieinhalb Metern kommen noch Böschungen in gleicher Breite dazu.
Die Zoologin an der LWG weiß: „Die steilen Böschungen von Querzeile zu Querzeile haben ein großes Potenzial für den Naturschutz und die Biodiversität, da sie nicht mehr direkt bewirtschaftet werden.“ In den sonnenexponierten Lagen würden sich an trocken-heiße Bedingungen angepasste Pflanzen und Tiere wohlfühlen; ein Beispiel hierfür sei die Rotflügelige Ödlandschrecke in der Kategorie 1 der Roten Liste („vom Aussterben bedroht“). Die Dauerbegrünung wirke der Erosion effektiv entgegen und verbessere die Wasserverfügbarkeit der Querterrasse im Vergleich zur Direktzuganlage. Konkret: Die Niederschläge rauschen nicht ungebremst davon.
Förderprogramm „FlurNatur“
Die Querterrassen zu schieben, hat die LWG bezuschusst. Für die ebenfalls kostenintensive Böschungsbegrünung mittels sogenanntem Anspritzverfahren konnte über das ALE Unterfranken das Programm „FlurNatur“ genutzt werden. Gefördert werden hier die Anlage und die Planung von Struktur- und Landschaftselementen wie Hecken, Streuobstwiesen, Trocken- und Feuchtbiotope auch außerhalb von Flurneuordnungen. Gemeinden, Gemeindeverbände als auch natürliche Personen und Personengesellschaften und Vereine können entsprechende Anträge stellen. Die Ausgaben für Bauten und Pflanzungen sowie für Architekten- und Ingenieurleistungen sind förderfähig mit bis zu 85 Prozent.
Dr. Beate Wende und ihr beim ALE Unterfranken zuständiger Kollege Felix Lang haben für den Neder’schen Weinberg übereinstimmend eine hydraulische Ansaat empfohlen. Diese Methode ermöglicht den ausschließlich in der Region gesammelten beziehungsweise geernteten Samen, sich auch unter schwierigen Voraussetzungen innerhalb kurzer Zeit zu Pflanzen zu entwickeln. Dazu werden das ausgewählte Saatgut sowie Haft- und Klebstoffe mit Wasser vermischt und unter Druck auf die zu begrünende Oberfläche verteilt. Es bildet sich rasch eine stabile Vegetationsdecke. In einem zweiten Arbeitsgang wird Stroh als Mulchschicht aufgeblasen. Diese wird gegen Verwehen gesichert, indem sie mit einem Gemisch aus Zellulose und Bodenfestiger bespritzt wird. Die Strohmulchschicht puffert Temperaturextreme ab und schützt die jungen Pflanzen vor extremer Witterung.
Verzicht auf die Hälfte des möglichen Ertrags
Ziel ist es, dauerhaft die Böschungen der Querterrassierung zu einem artenreichen Magerrasen zu entwickeln. Als Pflegekonzept ist die ein- bis zweimalige Mahd mit einem Balkenmäher vorgesehen. Das Mahdgut wird auf die Fahrgassen der Terrassen ausgebracht. Wenn es verrottet, bildet es Humus, der die Reben mit Nährstoffen versorgt. Im Übrigen sollen die Böschungen auch als Ausbreitungs- und Wanderwege für Tiere und Pflanzen von und zum vorhandenen Biotop westlich des neu bestockten Weinbergs dienen.
Die Neders verzichten am neu bestockten Weinberg von vornherein auf 50 Prozent des Ertrags. Trotzdem glauben sie, dass sich ihr Vorgehen rechnet – ökologisch sowieso, aber auch wirtschaftlich. Die „Bauherren“ haben nach Angaben von Lorenz Neder zusätzlich zum Eigenanteil an den Kosten für die Dienstleistungen Dritter zunächst rund 1200 Arbeitsstunden für das Anlegen des neuen Weinbergs erbracht. Sie hoffen, sich bei der Pflege der Reben leichter zu tun als in einer Direktzuganlage. Zum Ende des Jahrzehnts möchten sie die besten Trauben weit und breit keltern.
| Fotos: B. Schneider
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