Kultur und Wein gehören zusammen in Thüngersheim

1098 – vor 925 Jahren – wurde ein gewisses „Tunegersheim“, auf halber Strecke zwischen Würzburg und Karlstadt gelegen, erstmals urkundlich erwähnt. Von der hier gegen Ende des 12. Jahrhunderts sehr bedeutsamen, aber bald geschleiften Ravensburg sind nur noch Fundamente vorhanden; seit Kurzem kann man sich eine virtuelle Rekonstruktion aufs Smartphone holen. Ansonsten erinnert an das einst wehrhafte Bauwerk eine fast gleichlautende Weingroßlage. Und damit ist schon ein ganz wesentlicher Grund genannt, weshalb Besucherinnen und Besucher gerne in die Gemeinde an der B 27 kommen: Fast alles dreht sich um den göttlichen Trank. Allerdings spielt auch die Kunst eine wichtige Rolle – zuallererst die der (Kirchen-)Malerfamilie Urlaub. Deren Bilder zu betrachten, durch die Rebhänge zu wandern und bei den Winzern ein wenig zu probieren, fühlt sich an wie Urlaub.

Wahrscheinlich entstand Thüngersheim schon im 6. Jahrhundert. Was besonders an diesem Ort ist, bekommen Gäste wunderbar erklärt in den am Rathaus beziehungsweise an der Pfarrkirche anschließenden WeinKulturGaden. Nomen est omen. In geselligem Ambiente laufen in den behutsam renovierten Vorratshäusern einer gegen 1429/30 errichteten Befestigungsanlage Lesungen, Konzerte, Ausstellungen, … Der Gebäudebestand selbst kann regelmäßig Samstag und Sonntag von 10 bis 18 Uhr oder nach Vereinbarung unter info@weinkulturgaden.de besichtigt werden. Dem Verein, der die alten Mauern mit neuem Leben erfüllt, und der Gemeinde als Eigentümerin wurden im vergangenen Herbst in Hamburg der Deutsche Preis der Denkmalpflege verliehen.

Rathaus und WeinKulturGaden in der ehemaligen Kirchenburg
Rathaus und WeinKulturGaden in der ehemaligen Kirchenburg

Der markante Echter-Turm der dem heiligen Erzengel Michael geweihten katholischen Kirche ist ein idealer Orientierungspunkt für Unternehmungen in und um Thüngersheim. Am besten nicht am, sondern im Gotteshaus starten! Die Urlaubs hinterließen herrliche Spuren in ihrer Heimatkirche. In den Pfarrmatrikeln lassen sie sich bis 1592 zurückverfolgen. Alle waren als handwerkliche Maler tätig. Erstmals bei Georg Sebastian Urlaub (1685-1763) dominierte die künstlerische Ader. Er nahm sich ein Vorbild unter anderem bei Oswald Onghers. Die ersten Bilder, die ihm sicher zugeordnet werden können, sind die eines Christuszyklus von 1714 im Kloster Schönau bei Gemünden. Bei den dortigen Franziskaner-Minoriten lieferte er vermutlich auch seine letzten Arbeiten ab. Schwerpunkt seines Schaffens war zunächst Bamberg. Im Bistum Würzburg stammen von ihm beispielsweise die Hochaltarblätter in den Stadtpfarrkirchen von Volkach (Mariä Himmelfahrt) und Marktheidenfeld (Marter des heiligen Laurentius).

Hofmaler in Ungnade

Georg Sebastians Talent erbten zweifellos seine Söhne Georg Anton, Georg Christian und Johann Georg. Wirklich zu Ruhm gelangte der erste. Georg Anton sammelte Auslandserfahrungen auf einer zehnjährigen Walz, ehe er ab 1735 an der Ausstattung der Würzburger Residenz mitwirkte. 1737 entsandte ihn Fürstbischof Friedrich Karl von Schönborn für vier Jahre an die Akademie der bildenden Künste in Wien und ernannte ihn nach der Rückkehr zum Hofmaler. Doch er fiel bei seinem Herrn in Ungnade, weil er sich 1744 erneut verabschiedete – für weitere Studien in Bologna; er gewann die höchsten Auszeichnungen der damaligen Zeit. Eine Reihe seiner Bilder sind im Museum für Franken zu sehen und in der Diözesansammlung in der Kartause in Astheim. Im Thüngersheimer Rathaus befindet sich von ihm das alttestamentarische Motiv der Judith mit dem Haupt des Holofernes. 

Urlaub-Gemälde an der Empore in der Pfarrkirche „Heiliger Erzengel Michael”
Urlaub-Gemälde an der Empore in der Pfarrkirche „Heiliger Erzengel Michael”

Vor unserer Zeitrechnung angesiedelt ist das Thema eines terroir f, eines magischen Ortes in den fränkischen Weinbergen, der nach einem fast kerzengeraden Anstieg von der Ortsmitte aus zu erreichen ist: Wein & Mythologie. Bei diesem Aussichtspunkt handelt es sich um einen Weinolymp. Alle Frauen und Männer der griechischen Sagenwelt, die mit dem Trank der Götter in irgendeiner Weise in Verbindung gebracht werden können, werden hier auf einer mächtigen Stellwand aufgelistet. Eine Familie ist gar figürlich in Bronze dargestellt, nämlich Dionysos und Ariadne mit ihrem Sohn Oenepion. Letzterer sollte namensgebend werden für die Önologie, für die Wissenschaft um den Ausbau des Weins im Keller. Dass sich eine Gottheit im Weinberg den Buckel krumm geschuftet hätte, ist nicht überliefert. Alle genossen nur allzu gerne das berauschende Getränk. Die Fruchtbarkeitsgöttin Ariadne in freizügiger Pose hält sich in Thüngersheim ohnehin etwas abseits. Galt ihre ersten Liebe doch dem athenischen Königssohn Theseus. Ihm half sie, ihren blutdürstigen Halbbruder Minotauros, ein Wesen mit Stierkopf, zu besiegen.

Fruchtbarkeitsgöttin Ariadne am terroir f zum Thema „Wein & Mythologie“
Fruchtbarkeitsgöttin Ariadne am terroir f zum Thema „Wein & Mythologie“
Weingott Bacchus und sein Sohn Oenopion am terroir f zum Thema „Wein & Mythologie“ (mit Thüngersheim im Maintal im Hintergrund)
Weingott Bacchus und sein Sohn Oenopion am terroir f zum Thema „Wein & Mythologie“ (mit Thüngersheim im Maintal im Hintergrund)

Einmalig: zwei terroir f

Als einzige und eine der größten Weinbaugemeinden in Franken verfügt Thüngersheim über einen zweiten terroir f. Ehrensache, auch diesen anzulaufen, und zwar über den mit einer zwitschernden Amsel und einer Haselmaus markierten ZweiUfer-Panoramaweg. Wer ohne Termindruck unterwegs ist, kann einen Abstecher auf den Orchideenlehrpfad zu den botanischen Schönheiten der Höhfeldplatte machen. Ein Schild am Abzweig lockt zu Rotem Waldvögelein, Ständelwurz, Fliegen- und Bienenragwurz, Bocksriemenzunge und mehr: „Wenn Küchenschellen und Graslilien den Boden mit ihren Blüten überziehen oder das duftige Federgras im Wind weht, genießt man ein wahres Kleinod.“

Orchideenlehrpfad
Weinlehrpfad

Abschnitte eines viereinhalb Kilometer langen Weinlehrpfads sind  deckungsgleich mit dem Panoramaweg. Er gibt Gelegenheit, Winzern über die Schulter zu schauen und sich in der Rebkunde „aufzuschlauen“. Beworben werden die Lande um den Main als Silvanerheimat, deutschlandweit gilt hingegen eine andere Sorte als „unumstrittene Nr. 1“: „Die Müller-Thurgau-Rebe – auch bekannt unter dem Namen Rivaner – präsentiert sich als unkompliziert. Mit seinem leichten fruchtigen Charakter, der durch Aromen von Zitrus und grünem Apfel unterstützt wird, spricht dieser Wein viele Genießer an.“

terroir f zum Thema „Wein & Wissenschaft“ mit dem Vinomaxx (Weinkino)
terroir f zum Thema „Wein & Wissenschaft“ mit dem Vinomax (Weinkino)
Alte Rebsorte und Neuzüchtungen kann man rund ums Vinomax kennenlernen.
Alte Rebsorte und Neuzüchtungen kann man rund ums Vinomax kennenlernen.

Eine Fülle an Neuzüchtungen lernen Interessierte rund um das Vinomaxx am zweiten terroir f kennen. Dessen Motto: Wein & Wissenschaft. In der Nachbarschaft forscht die Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG). Direkt unterhalb des terroir f wird unter der Überschrift „Trüffelgärten in Franken“ über ein „Pilotvorhaben in aufgelassenen Steillagen des Weinbaus zur Förderung der Biodiversität“ berichtet. Eignung und Wirtschaftlichkeit von Trüffelkulturen werden geprüft. Demnach spielen von den 150 weltweit vorkommenden Trüffelpilzen nur sieben eine Rolle in der Kulinarik. Burgundertrüffel gedeihen in kalkhaltigen und gut durchlässigen Böden …

Trüffelprojekt in Franken
Trüffelprojekt in Franken

Dies zu lesen, weckt unweigerlich den Appetit. In den Gasthäusern Thüngersheims wird oft klassisch gekocht; auch eine ehemaliger deutscher Grillmeister schwingt die Zange. Hausmannskost ist natürlich angesagt beim traditionellen Höfefest im von Fachwerk und Hausmadonnen geprägten Altort; heuer findet es vom 30. Juni bis 2. Juli statt. Den Reigen der Jubiläumsveranstaltungen beschließt ein „Ballonglühen“ am 5. November.

Liebevoll renoviertes Fachwerk und kunsthistorisch bedeutsame Hausmadonnen im denkmalgeschützten Altort
Liebevoll renoviertes Fachwerk und kunsthistorisch bedeutsame Hausmadonnen im denkmalgeschützten Altort

| Fotos: B. Schneider

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