„Grünsfeld sollte keiner versäumen“

Der Begriff „liebliches Taubertal“ hat sich sofort etabliert. Vor 70 Jahren ist für die Ferienregion zwischen Wertheim und Rothenburg erstmals unter diesem Markenzeichen beziehungsweise mit diesem Qualitätsversprechen geworben worden. „Bezauberndes Taubertal“ titeln hingegen 1974 zwei Buchautoren und empfehlen: „Grünsfeld sollte keiner versäumen.“ Das Städtchen gehörte bis zur Säkularisation zu den fränkischen Kernlanden, wurde dann Baden und dem Bistum Freiburg zugeschlagen. Ehrenbürger Edgar Weinmann bekennt: „Unser Herz hängt immer noch an Würzburg.“

Anlässlich seines 90. Geburtstags im Mai erfuhr der kunst- und kulturbegeisterte Weinmann die höchste Auszeichnung seiner Heimatstadt. Er bewegt sich wie einer, der bestenfalls gerade das Rentenalter erreicht hat, und leistet Gehirnakrobatik wie in der Blüte des Lebens. Seit seiner Jugend engagiert er sich ehrenamtlich, umtriebig und einfühlsam. Bei Gästeführungen mimt er den Sekretär des Nachtwächters – den ausgeschlafenen Assistenten.

Herausragende Architektur

Grünsfeld mit fünf eingemeindeten Dörfern zählt rund 3650 Einwohner. Der Hauptort liegt nur wenige Kilometer von der Romantischen Straße entfernt, wo sich Grün- und Wittigbach, ein rechter Zufluss der Tauber, in einem von mehreren Hügeln gebildeten Talkessel vereinen. Rudolf Schuler und Richard Henk, die Verfasser des erwähnten Reiseführers, stellen fest: „Das Rathaus allein ist schon den Abstecher wert.“ Ein besonders herausragendes Beispiel fränkischer Architektur der Renaissance sei es, ein Fachwerkgebäude von 1579, das den Vergleich mit einem Prachtbau ganz aus Stein nicht scheuen brauche. In einer detaillierten Beschreibung durch Stadthistoriker Dr. Elmar Weiß auf fast 50 eng bedruckten DIN-A5-Seiten heißt es: „Die Größe und die Ausstattung des Grünsfelder Rathauses überrascht nur den, der die wechselvolle Geschichte dieser Stadt im Mittelalter und in der frühen Neuzeit nicht kennt.“

Das Grünsfelder Rathaus von 1579 gilt als einer der schönsten Profanbauten der Renaissance in ganz Franken.

Die Siedlung, aus der Grünsfeld hervorging, existierte schon in der Karolingerzeit. Als der heilige Bonifatius missionierte, wurde in Grünsfeld wohl schon eine Pfarrei errichtet. Im 12. Jahrhundert herrschten über Grünsfeld die Herren von Zimmern. Ab 1213 übernahmen die Grafen von Rieneck diese Rolle. Da sie sich of in der Umgebung des Kaisers aufhielten und an Kreuzzügen teilnahmen, erwarben sie für Grünsfeld bald das Stadtrecht: 1320. 

Dorothea von Rieneck heiratete 1467 den Landgrafen Friedrich V. von Leuchtenberg aus einem hochadeligen Geschlecht mit Besitz besonders in der Oberpfalz. Doch ihr Gatte starb früh. Sie vermählte sich mit dem Grafen Asmus von Wertheim, wollte jedoch das Erbe für ihren Sohn Johann von Leuchtenberg retten. Deshalb gab sie 1502 Grünsfeld an das Hochstift Würzburg und erhielt es im gleichen Jahr als Lehen zurück. Von den Schlössern in Grünsfeld und in der jetzigen Partnerstadt Pfreimd aus regierten etwa 150 Jahren lang sieben Leuchtenberger Landgrafen. Als Maximilian Adam 1646 kinderlos das Zeitliche segnete, fiel Grünsfeld ganz ans Fürstbistum Würzburg, bis dieses 1803 aufgelöst wurde. Nach dem Reichsdeputationshauptschluss kam Grünsfeld zunächst zum Haus Salm-Reifferscheid und drei Jahre später zum Großherzogtum Baden; 1813 verlor die Stadt ihre Funktion als Oberamt. Heute ist Grünsfeld eine der 18 Kommunen des Main-Tauber-Kreises im Regierungsbezirk Stuttgart des Bundeslandes Baden-Württemberg.

Die wirtschaftliche Bedeutung der Stadt Grünsfeld lässt sich unter anderem daran ermessen, dass sie mit ihrer Nachbarkommune Lauda-Königshofen 1994 den Zweckverband „Industriepark ob der Tauber“ gründete. Auf über 40 Hektar wurden in knapp 40 Betrieben rund 600 Arbeitsplätze geschaffen. Die Gewerbefläche soll um 25 Hektar erweitert werden.

Bekehrter Riese

Von großem Nutzen sind der Autobahnanschluss und der Kreissitz Tauberbischofsheim unmittelbar vor der Haustür – gerade einen Hammerwurf weit. Zumindest erzählt man sich die Sage, ein von der heiligen Lioba in ihrem Kloster zum Christentum bekehrter Riese habe sein Schlagwerkzeug weggeschleudert. Der Schlegel habe eine solche Wucht gehabt, dass er zweimal weitergesprungen sei. An allen drei Stellen, wo er aufschlug – in Grünsfeld-Hausen, in Oberwittighausen und schließlich in Gaurettersheim – seien Kirchen errichtet worden. Die erforderlichen schweren Quader hätten Riesen in ihren Schürzen angeschleppt.

Von allen Gotteshäusern weit und breit nimmt die St.-Achatius-Kapelle in Grünsfeld-Hausen von ihrer Gestalt und Ausstattung her eine Sonderposition ein: Es handelt sich um einen Doppel-Oktogonbau mit Fresken, die um 1200 datieren; eine Darstellung Mariens (Majestas Domini) gilt als die älteste Malerei dieser Art in Franken. Heimkehrende Kreuzritter ließen die zwei achteckigen Baukörper mit dem minarettähnlichen Türmchen wahrscheinlich ab 1180 von der Bauhütte der Zisterzienser-Abtei Bronnbach errichten. Der Stil streng und schlicht, lediglich ein Rundbogenfries läuft unter der Dachkante rundherum und ein Stufenportal schmückt den Eingang. Letzterer befindet sich weit unter dem Straßenniveau. Der Grünbach schwemmte wohl in Jahrhunderten jede Menge Boden an. Oben im Chorbogen verrät eine Markierung, wie weit hinauf das Hochwasser am 29. Mai 1911 stieg.

Diese Darstellung Mariens soll das älteste Fresko in Franken sein.
Heimkehrende Kreuzritter ließen in Grünsfeld-Hausen die Doppel-Oktogonkirche mit minarettähnlichem Türmchen errichten.

Geschichtskenner Weinmann denkt, dass die Kelten hier schon ein Quellheiligtum hatten, das für christliche Zwecke zuerst zur Taufkapelle umfunktioniert wurde. Er zeigt auch auf der Rückseite einen roten Sandstein mit acht Vertiefungen im ansonsten gräulichen Muschelkalkmauerwerk; im Volksmund heißt dieser Näpfchenstein und könnte einst für Opferungen verwendet worden sein. 

Im Kircheninneren sorgen moderne Farbglasfenster mit Passionsmotiven für ein warmes Licht. Ein Blickfang ist eine kleine Figur des Winzerschutzpatrons St. Urban in bäuerlichem Barock. Tauberfranken ist Baden-Württembergs nördlichstes Weinanbaugebiet. Bekannt ist es vor allem für den Schwarzriesling und den Müller-Thurgau und natürlich für die regionale Rebsorte Tauberschwarz.

Auf der Tabernakelsäule thront eine Kreuzigungsgruppe, die wie die Fensterbilder aus den 1970ern stammt. Ein der Jerusalemer Anastasia-Säule nachempfundener Sockel war am Karfreitag 1919 als vermeintlicher Heidenaltar vor die Kirche versetzt und mit einer Madonna bestückt worden. Eine Eibelstädterin habe die feingearbeitete Steinplastik als Hochzeitsgabe mitgebracht, berichtet Edgar Weinmann, der im Übrigen eine Lehre als Silberschmied absolvierte, ehe er beruflich Karriere im Vertrieb von Erfrischungsgetränken machte. Die spätbarocke Gottesmutter steht mittlerweile vor Witterungseinflüssen geschützt in der St.-Achatius-Kapelle, draußen begrüßt und verabschiedet eine Nachbildung die Gäste.

Kirche der Superlative

Der fränkische Jakobsweg führt im Zeichen der Muschel in die Mitte von Grünsfeld. Der Turm der Pfarrkirche St. Peter und Paul, mit 75 Metern einer der höchsten in der Diözese Freiburg, gibt schon aus der Ferne die Richtung vor. Der heutige südliche Marienchor war im 13. Jahrhundert schon Wallfahrtsstätte. Das Schlusssteinwappen des Gotteshauses trägt die Jahreszahl 1488. Von 1966 bis 1968 war wegen der vielen Messbesucher im Norden ein Anbau angefügt worden. Ein großes von dem berühmten Karlsruher Künstler Emil Wachter gefertigtes Glasfenster veranschaulicht die Heilsgeschichte vom Paradies bis zur Erlösung durch Jesus Christus.

Schon zuvor verpflichteten die Grünsfelder echte Meister, beispielsweise für den Hochaltar den Würzburger Hofmaler Johannes Andreas Urlaub und für das Grabmal der Gräfin Dorothea von Rieneck den unübertroffenen Bildhauer Tilman Riemenschneider, der im „Madonnenländle“ entlang der Tauber mehrfach Spuren hinterlassen hat.

Das Grabmal der Gräfin Dorothea von Rieneck in der Grünsfelder Pfarrkirche ist ein Werk Tilman Riemenschneiders.
Totenleuchte am Zugang zur Pfarrkirche St. Petrus und Paulus.

Jene Dorothea und Graf Asmus von Wertheim hatten eine Totenleuchte gestiftet, die den Zugang zur Kirche erhellte. „Ein absolute Rarität!“, meint Edgar Weinmann. Das Entstehungsjahr 1496 kennt er seit Kindertagen: Vom Pfarrer sei er fürs Entziffern gelobt worden, obwohl er an der offenen, also an der halben 8 (=4) gescheitert sei.

Ferner fällt an der Außenwand der Kirche eine ausnahmsweise nicht auf einer Brücke stehende St.-Nepomuk-Statue auf und eine Sonnenuhr. Einen nicht mechanischen Zeitmesser der ganz besonderen Art kann man in Grünsfeld am ehemals fürstbischöflichen Amtshaus entdecken. Dort, wo ehedem die Würzburger Amtskeller die Steuern einzogen und verwalteten, half der Tausendsassa Weinmann in den 1990er-Jahren mit, nach aufwendiger Renovierung ein Museum einzurichten. Zu seinem Bedauern können nur noch angemeldete Besuchergruppen die Ausstellung besichtigen. Für den frei zugänglichen Hof eines Nebengebäudes, das der Steinhauertradition in der Umgebung gewidmet ist, wurde eine astronomische Sonnenuhr nachgebildet. Weinmann betont: „Davon gibt es nur drei in Deutschland.“ Von der früheren Zehntscheune aus ist dieser Museumsteil am besten zu erreichen. In der historischen Scheune ist Platz für städtische Festivitäten. Sie war angegliedert an ein Schloss. Doch dieses mit seinen 38 Zimmern wurde längst abgebrochen, nachdem die Leuchtenberger Adelslinie im 17. Jahrhundert endete. Da hingegen immer wieder ein neuer Bürgermeister nachrückte, bestand wenigstens nie die Sorge, das allseits bestaunte Rathaus könnte verfallen.

Edgar Weinmann hat viel Energie darauf verwendet, im ehemals fürstbischöflichen Amtshaus ein Museum einzurichten. Doch jetzt ist es meist geschlossen.
Von dieser Art astronomischer Sonnenuhr gibt es deutschlandweit drei Stück – eines in Grünsfeld.
Die Zehntscheune ist das einzige Gebäude, das vom Rienecker beziehungsweise Leuchtenberger Schloss in Grünsfeld übrig ist.

70 Jahre „Liebliches Taubertal“

In Erinnerung daran, dass 1951 die Geburtsstunde des Tourismusverbands „Liebliches Taubertal“ schlug, werden heuer am 19. September Dampfzugsonderfahrten veranstaltet, vom 8. bis 10. Oktober die Taubertäler Wandertage sowie am 23. Oktober eine Weinprobe mit der Taubertäler Weinkönigin Michaela Wille und der Grünkernkönigin Annika Müller. Individualbesuche bieten sich freilich jederzeit an. Nachfolgend ein Auszug aus der Liste lohnenswerter Ziele: 

Rothenburg: Stadtbefestigung, Doppelbrücke, Rathaus, St.-Jakobs-Kirche mit Heiligblutaltar (T. Riemenschneider), Tauberschlösschen, Reichsstadt-, Kriminal- und Weihnachtsmuseum

Detwang: Kirche mit Kreuzigungsaltar (T. Riemenschneider)

Creglingen: Herrgottskirche mit Marienaltar (T. Riemenschneider), Fingerhutmuseum

Röttingen: Burg Brattenstein, Sonnenuhrenwanderweg

Tauberrettersheim: Tauberbrücke (B. Neumann)

Weikersheim: Renaissanceschloss mit Alchemiemuseum und Schlossgarten, Tauberphilharmonie, Tauberländer Dorfmuseum

Bad Mergentheim: Deutschordenschloss und -museum, Kur- und Schlosspark, Wildpark, Stuppacher Madonna (M. Grünewald)

Königshofen: Goten (ehemalige Zehntscheune)

Grünsfeld: Pfarrkirche mit Grabmal der Dorothea von Rieneck (T. Riemenschneider), St.-Achatius-Kapelle

Tauberbischofsheim: kurmainzisches Schloss, Türmerturm, Liobakirche

Dittigheim: Pfarrkirche St. Vitus

Niklashausen: Pfeifferhannes-Museum

Gamburg: Burg (nur an Wochenenden und Feiertagen zu besichtigen)

Bronnbach: ehemaliges Kloster

Wertheim: Altstadt, Stiftskirche, Burg, Glasmuseum, Grafschaftsmuseum

Die heilige Lioba wirkte ab etwas 735 als Äbtissin in Tauberbischofsheim. | Fotos: B. Schneider

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