Freilich ist man neugierig, wie ein Würzburger Fürstbischof des frühen Barocks sein privates Landschloss samt 10,5 ha Umgriff zur sommerlichen Erholung und Zerstreuung anlegen ließ. Wir wissen über die Zeit, dass die Herrschenden lieber klotzen statt kleckern. Wer in die Haßberge mit seinen mehr als 50 Burgen, Schlössern und Ruinen fährt, der muss die Ortschaft Gereuth bei Untermerzbach schon bewusst auf-suchen, um abseits der beiden heute maßgeblichen Straßen B 303 und B 279 zu landen.
1705 erwirbt Johann Philipp von Greiffenclau zu Vollraths das zentfreie und reichsunmittelbare Gut Gereuth. In den nächsten fünf Jahren lässt er um einen Ehrenhof (Cour d’honneur) eine neue dreigeschossige Dreiflügelanlage errichten – 48 m lang und 29 m breit. Als Baumeister verpflichtet er damalige Stararchitekten: möglicherweise Heinrich Zimmern, Leonhard Dientzenhofer, Joseph Greissing und bestimmt Valentin Pezani. Nah am Bistum Bamberg demonstriert Greiffenclau als bis 1719 regierender Würzburger Oberhirte seine Macht durch Prunk und Pracht. (Bekanntlich reagiert Lothar Franz von Schönborn aus Bamberger Sicht gegenüber Würzburg mit dem Bau des noch viel umfangreicheren Schlosses Weißenstein bei Pommersfelden.)
Man übt Zurückhaltung, lenkt sein Fahrzeug nicht einfach auf den gepflasterten Hof von Schloss Gereuth. Parken auf der gegenüberliegenden Straßenseite unterhalb der Kirche St. Philipp! Das mit einem schweren, hohen Eisengitter bewehrte Tor steht offen. Einst mögen die dicken, spitzen Nägel auf Kopfhöhe Furcht eingeflößt haben. Rost hat sie stumpf werden und teilweise abbrechen lassen. Weitaus gefährlicher wirken die gefletschten Zähne der drei wild bellenden, schwarzen Hunde. Aber die rennen hinterm Zaun in sicherer Entfernung auf und ab unten im trockengelegten Graben. Das stattliche und das Ortsbild prägende Anwesen war als Wasserschloss konzipiert worden mit 2,70 m starken Fundamenten.
Rupert Fechner, ein gebürtiger Oberbayer aus Fürstenfeldbruck, hat dieses neueSchloss mit seiner Lebenspartnerin Birgit Richter unmittelbar nach der Jahrtausendwende erstanden, entsprechend ihrer beider Möglichkeiten teilsaniert und wieder mit Leben erfüllt. Das ältere Gebäude in direkter Nachbarschaft gehört jemand anderem und ist nur notdürftig gegen Einsturz gesichert.
In Flanellhemd und Arbeitshose heißt Fechner den Besuch willkommen. „Heut’ ist der Schlossherr der Knecht“, erklärt er und schildert zunächst noch zurückhaltend, wo seit dem Kauf angepackt werden muss. Auf Nachfrage verrät er auch, wo es hakt und hängt. Das „Unternehmen Märchenschloss“, wie es in einer Fernsehdokumentation heißt, erfährt eine jähe Zäsur, als Birgit Richter im Mai 2017 verstirbt. Seither ist die Gastronomie im Schloss geschlossen, gibt es kein tägliches Kommen und Gehen mehr. Fechner gibt bekannt, sich nicht mehr dem Druck der Lebensmittelkontrolle aussetzen zu wollen. Für Feste würde er jetzt einen Caterer bestellen.
Auf eine Baustelle gezogen
Die Öffentlichkeit hat immerhin anderthalb Jahrzehnte teilhaben können am Geschehen im Schloss Gereuth. Nach Aufhebung des Fürstbistums Würzburg sind die Eigentümer eine Bankiers-, eine Wollhändler-, eine Landwirts- und zuletzt eine Unternehmerfamilie aus der Region. „Gutes Geld“, sagt Rupert Fechner, habe er mit Leiterplattenbestückungen verdient. Als er Birgit Richter kennenlernt und zu ihr nach Jettingen ins Schwäbische zieht, verspüren beide bald den Drang, ihre jeweilige Vergangenheit abzuschließen und sich woanders ein Zuhause zu schaffen. Dieses soll kein Neubau sein, aber auch nichts, das laut Fechner „schon tot saniert“ ist. Er erinnert sich: „Fast zwei Jahre haben wir gesucht, bis wir in einer Anzeige auf ein Fachwerkhaus in Gereuth stießen.“ Dieses Haus besichtigen sie aber nicht mehr. In Gereuth hat es ihnen auf Anhieb das Schloss angetan. Rupert Fechner: „Wir waren blauäugig, dumm und unerfahren.“ Zugleich voller Leidenschaft, Ideen und Tatendrang. Im August 2000 macht das Paar notariell alles klar, verlagert bis Februar 2001 ihre Einnahmequelle, die Fertigung der Schaltschränken, nach Gereuth und zieht selbst, wie Fechner unumwunden bekennt, „auf eine Baustelle“.
„Wir sind nicht vorgegangen, wie die Denkmalbehörde sich das vorstellt“, gesteht Fechner. „Aufmaß und Tragwerksgutachten haben wir noch machen lassen. Danach haben wir unser Geld in die Substanz gesteckt, haben Zimmer für Zimmer hergerichtet.“ Da ein Generalplan fehlt, besteht auch keine Chance auf Zuschüsse.
Das Team Richter/Fechner wird um drei polnische Arbeiter erweitert: um einen Schreiner, einen Maler und Verputzer sowie einen Zimmermann. Beispielsweise restaurieren die „Universalhandwerker“ sämtliche 152 Fenster. Ebenso Türen und Böden. Mit einem Blockheizkraftwerk und einer Sockelheizung wird aufsteigende Feuchtigkeit gebannt. Der 64-jährige Schlossherr schätzt, dass das Bauwerk zu etwa zwei Drittel instandgesetzt ist. Von dem Gedanken, den Festsaal im zweiten Stock wieder nutzbar zu machen, hat er sich aus Kostengründen verabschiedet. Er berichtet, dass er mit Rücksicht auf seine Gesundheit seine Firma langsam habe „auslaufen“ lassen und jetzt Rente bezieht.
Kultur und Kulinarik
Als Eventlocation haben insbesondere junge Menschen Schloss Gereuth für sich entdeckt. „Wir hab’n im Sommer jed’s Wochenende Hochzeit g’macht. Pro Saison im Schnitt 25“, bilanziert Fechner zufrieden. Bei Konzerten und Autorenlesungen legen die Kunstförderer, die selbstbewusst per Internet vermelden, Schloss Gereuth solle zum „kulturellen Mittelmittelpunkt im östlichen Zipfel Unterfrankens“ werden, in der Regel drauf. Gut gebucht werden hingegen Ritteressen, Weihnachtsfeiern und sonstige geschlossene Veranstaltungen. Fechner meint: „Vor allem den ausländischen Ansprechpartnern haben die Firmenvertreter gerne das Schloss vorgeführt. Aber das À-la-carte-Geschäft war schwierig.“ Dabei haben die Wirtsleute die ehemalige Küche in eine wirklich urige Gaststube verwandelt. Historisches Mobiliar. Buffets und Regale bestückt mit schicken Accessoires und alten Fotografien.
Das ist der Raum, in dem sich der Schlossherr in der kalten Jahreszeit bevorzugt aufhält. Von einem holzbefeuerten Herd mit einer rund 2,5 m2 großen Kochplatte geht eine wohlige Wärme aus. Die Scheite, die Rupert Fechner nachlegt, stammen natürlich vom eigenen Baumbestand. Genug, um etliche Ster zu verkaufen. Fechner ist ja jetzt vorwiegend Land- und Forstwirt – der Knecht eben. So bietet er auch Felle seiner Coburger Fuchsschafe und Wolle seiner Alpakas, seiner Anden-Kamele, an. Das neue Jahr hat ihm etliche Lämmer und sogar ein Alpakafohlen beschert. Im hinteren Teil des Parks tummeln sich zudem zwei Emus. Neben den Straußen sorgt ein Pfauenhahn für ein wenig Exotik.
Märkte und Fremdenzimmer
Die Atmosphäre unter hohen Bäumen hält Fechner für den maßgeblichen Erfolgsfaktor für die Flohmärkte, die er weiterhin von Mai bis September (siehe www.schloss-gereuth.de) organisiert – mit jeweils 100 bis 160 Ständen. „Aussteller wie Käufer kommen aus einem Umkreis von rund 200 km“, hat er beobachtet. Ferner lädt er traditionell am Abend des 21. Juni zum Sonnwendfeuer ein und knapp zwei Wochen zuvor – heuer am 9. und 10. Juni – zum Gartenmarkt. „Bei uns findet man auch schöne Dinge für den kleinen Geldbeutel“, wirbt er und bezeichnet sich als Erfinder dieses vielfach kopierten Publikumsmagneten im fränkischen Raum.
Die 2018er Ereignisse spielen sich alle „open air“ ab. Dennoch führt – zumindest sommers – ein Weg ins Innere des Schlosses Gereuth. Drei herrschaftliche Räume, benannt nach den Greiffenclaus, nach dem Aussichtspunkt Theresienstein und nach dem hier einst wandernden Dichter und Gelehrten Friedrich Rückert, vermietet Rupert Fechner als Fremdenzimmer. Die Haßberge sind jedenfalls ein lohnendes Ziel für mehr als nur einen Tagesausflug. Von Ditterswind bis Leuzendorf, von Burgpreppach bis Untermerzbach haben noch andere Enthusiasten sich eines sagenhaften Erbes angenommen. Man darf wirklich neugierig sein …
Haßberge – Land der Burgen und Schlösser
In den Haßbergen ist es wahrscheinlich einfacher und schneller, die Städte, Gemeinden und Ortsteile ohne Burg, Schloss oder Ruine aufzuzählen als die mit. Alle anzusehen, ist eine Mammutaufgabe. Einen bestimmten, fast schon magischen Ort sollte man allerdings auf jeden Fall besucht haben: das höchstgelegene Haßbergdorf Altenstein mit der gleichnamigen und ausführlich erläuterten Ruine und dem Informationszentrum des Deutschen Burgenwinkels:
Wilhelm-von-Stein-Straße 10
96126 Maroldsweisach-Altenstein
Telefon: 09535 1889892
www.deutscher-burgenwinkel.de
An der Nahtstelle von Wein- und Bierfranken zeugen nicht nur eine ungewöhnliche Zahl von herrschaftlichen Anwesen von der bewegten Geschichte der Region. Hier im Naturpark Haßberge kann man sich beispielsweise auch auf den Kelten-Erlebnisweg begeben und auf die Straße der Fachwerk-Romantik und auf den Friedrich-Rückert-Wanderweg und auf den Amtsbotenweg und … Mehr dazu beim Tourismusverband Haßberge:
Marktplatz 1
97461 Hofheim i. Ufr.
Telefon: 09523 50337-10
www.hassberge-tourismus.de
Unser Einkehrtipp
Die Haßberge sind glücklicherweise in Bezug auf gute Gasthäuser ein gesegneter Landstrich. Eine eigene Schlachtung ist die beste Voraussetzung für eine genussvolle. Wenn dann wie in der Brauereigaststätte „Zum grünen Baum” der Familie Hartleb in Maroldsweisach noch selbstgebrautes, unfiltriertes Landbier und gar selbstgebrannte Schnäpse (Birne, Mirabelle, Kirsche, …) zu haben sind, dann schlägt das Herz des Ausflüglers sinnbildlich Purzelbäume. Schon ab 9:00 Uhr sind Gäste willkommen. Am Mittwoch ist allerdings Ruhetag. Im Sommer herrscht Biergartenbetrieb.
In der gleichen Straße wie die Brauereigaststätte befindet sich ein Haus, in dem jemand als Kind lebte, der einmal die Bundesrepublik Deutschland repräsentieren sollte. Beim Besuch in Maroldsweisach – na, wo kehrte er da wohl ein?
Eine Antwort auf „In Gereuth in den Haßbergen: „Heut‘ ist der Schlossherr der Knecht.”“