Klingenberger Wein wird im Mittelalter in einem Atemzug mit dem Würzburger genannt. Heute wohl mehr als damals gedeihen in dem nach Süden ausgerichteten Steilhang des Schlossbergs einige der besten deutschen Tropfen. „Des Winzers Gold“ – so lautet das Motto des erst kürzlich eröffneten „terroir f Churfranken“, einer Aussichtsplattform am fränkischen Rotweinwanderweg in den Sonnenterrassen des Bundsandsteins. Und im Atlas der insgesamt 100 bayerischen Genussorte ist das malerische, rund 6.500 Einwohner zählende Städtchen am Untermain seit heuer aus doppeltem Grund gelistet: Die gemeinsame Bewerbung von städtischem Weingut und Altem Gewürzamt war erfolgreich.
Weihnachten steht bevor. Alleine der Gedanke daran sorgt aus der Erinnerung heraus für ein unverkennbares Geruchs- und Geschmackspotpourri. Ingo Holand, ehemaliger Sternekoch und nun vor allem umtriebiger Gewürzmüller, empfiehlt, Abwechslung in die traditionell süße Bäckerei zu bringen – beispielsweise mit Pfeffer und Piment: „An allem darf etwas Schärfe dran sein!“ Das weckt Lüste auf der Zunge und am Gaumen.
In der Nase kennt Tausendsassa Holland keinen betörenderen Duft als den der Vanille. Drei wie ein „H“ angeordnete Schoten bilden sein Unternehmenslogo. Markanter ist allerdings die tiefgrüne Farbe seiner Produktverpackungen, insbesondere seiner stapelbaren Blechdosen; so sind sogar sein Firmengebäude gestrichen und sein Auto lackiert.
Wie kommt’s, dass jemand eine traumhafte Karriere beendet, ohne wissen zu können, dass die nächste die vorhergehende übertrifft? Ingo Holland begann 1973 als Page im „Frankfurter Hof“, der besten Adresse in der nahen Finanz- und Wirtschaftsmetropole, ehe er nach einem halben Jahr zur Lehre in die Küche durfte. Nach bestandener Gesellenprüfung sammelte er weitere Erfahrungen in der Schweiz, in Oberbayern, im Ruhrgebiet, … Schließlich zurück zu den Wurzeln: 1989 übernahm er mit seiner Frau in Klingenberg das „Winzerstübchen“. Die Gäste verwöhnte er mit „fränzischen“ – französisch verfeinerten bodenständig fränkischen – Gerichten und wurde dafür ab 1991 Jahr für Jahr mit einem Michelin-Stern belohnt. 1997 verlagerte er das „holländische“ Restaurant ins Alte Rentamt seiner Heimatstadt. Die Bezeichnung des Gebäudes wurde zum Inbegriff dafür, in der Region außergewöhnlich gut zu essen. Vom Alten Rentamt leitete Holland den Namen seines parallel betriebenen Geschäfts ab: Altes Gewürzamt.
„Wir Deutschen lieben Gewürzmischungen”
1993 hatte er angefangen, mit den Essenzen zu handeln, die seinen Speisen eine besondere Würze verleihen. Mit seinen Kompositionen trifft er im wahren Sinn des Wortes den Geschmack des Publikums. „Während die Franzosen beim Kochen und Backen in erster Linie Einzelgewürze verwenden, lieben wir Deutschen Mischungen“, erzählt Holland und verrät auch gleich, dass diejenigen für die mediterrane Küche am gefragtesten sind.
Im Rentamt und im Gewürzamt (im gegenüberliegenden Haus) waren jeweils etwa zehn Personen tätig. Wenn die einen den Herd anfeuerten, stellten die anderen den Röster schon bald wieder ab, gönnten sich den verdienten Feierabend. Nur eben der Chef sich nicht. Der wechselte die Straßenseite und stand weiter unter Strom. „Deshalb habe ich aus dem Bauch heraus 2006 entschieden, auf dem Höhepunkt abzutreten – also in der Küche“, sagt Holland kurz und knapp. Das Rentamt führte ein bisheriger Mitarbeiter vorübergehend weiter.
Ingo Holland taucht fortan ganz ein in die Vielfalt der Gewürze, hat derzeit 50 Beschäftigte – die meisten in Vollzeit – und verarbeitet mit deren Hilfe nach grober Schätzung 130 Tonnen Ware, die er vorwiegend aus Deutschland und Frankreich bezieht – nicht direkt aus Fernost. Aber dort „reingeschnuppert“ hat er natürlich schon: „Indien, da muss man als Gewürzmensch gewesen sein; am besten mehrfach!“
Regionalität an erster Stelle
Höchst interessiert zeigt sich der Unternehmer an dem, was im Umkreis wächst. Er bekennt: „Bei mir geht Regionalität vor allem anderen.“ Zum Beispiel liefere den Kümmel mittlerweile ein fränkischer Bauer. Und stilecht reife ein Kümmelgeist in Barriquefässern des Spitzenwinzers Paul Fürst. Als Grundstoff für Hollands Essige diente bisher der Traubenmost aus dem elterlichen Wengert. Mit 85 Jahren habe sein Vater heuer seine letzte Lese eingebracht.
Ingo Holland ist 60, hat aber die Geschäftsführung seiner Gewürzamt-GmbH schon mehrheitlich seinem Sohn Kilian übergeben. Er selbst möchte vor allem kreativ sein bei Kochkursen und Gewürzseminaren, bei Privat- und Firmenfeiern auf der „Genussetage mit Showküche“ in seinem 2016 errichteten Neubau; vier dekorierte Köche gehören zu seinem Team. Sein Ziel: wöchentlich mindestens eine Genussveranstaltung. Und er hofft, dass von Seiten der Stadt Klingenberg die Termine für Genießer ebenfalls erweitert werden.
79 Kilometer langer Rotweinwanderweg
Ausflügler können das milde Klima am Main quasi jeden Tag nutzen – unter anderem für Touren auf dem insgesamt 79 Kilometer langen Rotweinwanderweg bis zu den bierbrauenden Franziskanern des Klosters Engelberg bei Großheubach. Auf der Klingenberger Etappe sind mehr als zwei Drittel der 30 Hektar Anbaufläche mit Rebsorten wie Blauer Portugieser, Regent und Spätburgunder bestockt.
Einen Augen- und Ohrenschmaus bieten immer im Sommer die Clingenburg-Festspiele. Als die Burg noch nicht Ruine, sondern bewohnt war, drang der Ruf Klingenbergs als Genussort auch schon über Franken hinaus ohne entsprechenden Atlas.