So ist’s urkundlich verbrieft: Am 28. Dezember 770 schenkten ein gewisser Egli und seine Frau Sigihilt, ein Paar des niederen Adels, um sein Seelenheil zu sichern, dem Kloster Fulda Landbesitz in Münnerstadt. Seit dieser ersten Erwähnung des bald an Größe und Bedeutung wachsenden Ortes zwischen Rhön und Grabfeld spielt hier die katholische Kirche über Jahrhunderte hinweg eine entscheidende Rolle. Die meisten Sehenswürdigkeiten künden davon. Und es gibt weitere glänzende Gründe, einen Geburtstagsbesuch abzustatten.
Kreativkraft für Stadtmarketing und Tourismus lautet die Dienstbezeichnung von Kilian Düring. Dessen Vorname outet den Mittdreißiger als Spross der Region. Die Kombination aus Position und Sozialisation lässt jedenfalls auf ideen- und abwechslungsreiche sowie zugleich geerdete und nachhaltige Freizeitangebote schließen in „Mürscht“. Prägnante Dialektwörter hat auch Dr. Nicolas Zenzen, der vor rund drei Jahren als Kulturmanager und Leiter des Henneberg-Museums vom Breisgau in das fränkische Landstädtchen wechselte. Selbiges ist schließlich dank Verkehrsprojekte rund um die deutsche Einheit mit der Bahn wieder und seit 2005 auch über eine Bundesautobahn gut zu erreichen.
Museum und Touristinformation befinden sich im ehemaligen Deutschordensschloss unmittelbar neben der Stadtpfarrkirche. Zenzen und Düring arbeiten Hand in hand. Gemeinsam mit vielen in Vereinen engagierten Bürgern und den im „Kaufhaus Mürscht e. V.“ zusammengeschlossenen Gewerbetreibenden hatten sie ein Jubiläumsprogramm mit rund 100 Veranstaltungen vorbereitet. Auf die 1250. Wiederkehr des offiziellen Eintritts Münnerstadts in die Geschichte sollte hingefeiert werden. Das Festjahr hatte verheißungsvoll mit einem Auftritt des bayerischen Ministerpräsidenten begonnen. Doch das Coronavirus breitete sich aus … „Dann holen wir eben alles ab dem 28. Dezember ein Jahr lang nach“, reagierten die Verantwortlichen. Aber das Gespann Zenzen/Düring gibt sich realistisch: „Wir planen keine Ereignisse mit Tausenden Einheimischen für noch viel mehr Gäste, wenn eine Pandemie keine engen Kontakte zulässt.“
Ungewiss ist sogar, wann die Türen des mit 1.100 Quadratmetern recht weitläufigen Henneberg-Museums wieder geöffnet werden dürfen. Im Zuge des Jubiläums ist der Eintritt frei. Die ständige Ausstellung ergänze sehr gut einen Rundgang durch Münnerstadt, meint der Leiter: „So ist ein tieferer Blick auf die hiesige Kunst und Kultur sowie Wirtschaft und Gesellschaft möglich.“ Thema der nächsten Sonderausstellung: Handwerk hat goldenen Boden. Nicolas Zenzen verweist darauf, dass vor allem die Weber zum früheren Wohlstand der Stadt beigetragen hätten. Aktuell sind noch die historischen Zunftstangen aus der Pfarrkirche, die gerade aufwendig saniert wird, ans Museum verliehen.
Prachtstücke des Gotteshauses sind freilich der erste Großaltar, den Tilman Riemenschneider 1492 geschaffen hat, und vier Tafelgemälde von Veit Stoß von 1504. Nachdem diese vorübergehend in Würzburg im Museum am Dom zu sehen waren, bereichern sie nun eine Schau über „Kunst und Kapitalverbrechen“ in München im Bayerischen Nationalmuseum. Dass der Stadt Münnerstadt dadurch momentan die Attraktion schlechthin fehle, bestreitet Fremdenverkehrschef Kilian Düring keineswegs. Aber er kann diesem zeitlich befristeten Umstand auch Positives abgewinnen: „Man entdeckt in Abwesenheit der Superstars weitere funkelnde Sterne und lernt diese jetzt besser kennen und schätzt sie viel mehr als zuvor.“
Denjenigen, die sich außer für trutzige Tore, stolze Bürgerhäuser und bezauberndes Fachwerk begeistern, die zudem vielleicht ein Gebetsanliegen haben, empfiehlt Düring, die drei Wallfahrtskirchen auf Münnerstädter Gebiet anzusteuern: die Talkirche am Weg Richtung Rannungen und die Kirchen von Fridritt und Windheim. Lohnende Ziele in diesem Spektrum sind unter anderem auch die Augustinerklosterkirche in der Altstadt, der „Grabfeld-Dom“ in Großwenkheim und das schon im 12. Jahrhundert als Zisterzienserkloster gegründete Maria Bildhausen – nordöstlicher Wendepunkt des Fränkischen Marienwegs.
Unabhängig von Jahreszeiten und der Schließung von Kultureinrichtungen kann man sich immer auf einen der zahlreichen Wanderwege in, durch und um Münnerstadt herum begeben. Kilian Düring schwärmt förmlich für eine Extratour des mehrfach ausgezeichneten „Hochrhöners“ – zum Michelsberg. Freiwillige hätten den spirituellen Ort liebevoll hergerichtet. Düring rät, per Zug anzureisen und direkt am Bahnhof auf den Premiumweg zu gehen.
Ob 2021 wenigstens alle traditionellen Markttage wieder stattfinden können? Ostermarkt (30.3.), Kapitelsmarkt (10./11.7.), Schutzengelmarkt (29.8.; gleichzeitig Auftakt der Aufführungen des Freilichtspiels um die Errettung der Stadt durch die Schutzfrau Maria während des Dreißigjährigen Kriegs), Herbstmarkt (17.10.) und Weihnachtsmarkt (29.11.). – Der heuer im Juni verstorbene Speyerer Bischof em. Dr. Anton Schlembach, geboren im Münnerstadter Stadtteil Großwenkheim, soll öfters die Worte verwendet haben: „Bie’s künnt, läss’s kumm.“
Mehr als 1250 Jahre Munirihestat
Als Munirihestat wurde Münnerstadt vor genau 1250 Jahren im ältesten erhaltenen schriftlichen Beleg bezeichnet. Der städtische Kulturmanager Leiter des Henneberg-Museums, Dr. Nicolas Zenzen, gibt einen Einblick, wie sich Münnerstadt entwickelte und warum dies so der Fall war:
Die ursprüngliche Siedlung, die ihren Namen von einem Mann namens Munirich hatte, lag nordwestlich der heutigen Münnerstädter Altstadt. An diesem Ort siedelten bereits seit der Steinzeit Menschen. Wann Munirich lebte ist unbekannt..
Unweit dieser Siedlung errichteten die Grafen von Henneberg spätestens im 12. Jahrhundert eine Burg – auf dem niedrigen Hügel, auf dem heute die Münnerstädter Zehntscheune steht. Um die Burg herum entstand eine neuere Siedlung, die von den Hennebergern im 13 Jahrhundert zur Stadt ausgebaut wurde und den Namen Münnerstadt übernahm. Die Stadtmauer mit den Toren wurde damals erbaut, ebenso die Stadtpfarrkirche. Der Deutsche Orden gründete eine Niederlassung und übernahm die Seelsorge für das Städtchen. Dazu gehörte auch der Unterhalt eines Spitals, einer Lateinschule sowie eines Armenhauses. Gleich neben der Kirche errichtete er sein Ordenshaus mit mehreren Wirtschaftsgebäuden, heute Sitz des städtischen Henneberg-Museums und der Touristinformation. Bereits 1279 folgten die Augustiner als zweite Ordensgemeinschaft in Münnerstadt mit einem Kloster, das bis heute besteht.
Im Jahr 1335 verlieh Kaiser Ludwig der Bayer dem Ort Stadtrechte. Nun begann die große Zeit Münnerstadts. Dank des blühenden Handwerks und der Förderung durch die Henneberger gelangte die Stadt zu sprichwörtlichem Wohlstand. „Mürscht hat’s Geld“, heißt es in einem Gedicht über die neun Städte der fränkischen Rhön. Der Reichtum Münnerstadts lässt sich an den Gebäuden und Kunstwerken aus dem 14. bis 16. Jahrhundert ablesen: An den Stadttoren wurden elegante Madonnenfiguren angebracht, 1464 wurde das stattliche Rathaus erbaut, die Stadtpfarrkirche St. Maria Magdalena wurde im gotischen Stil erweitert und mit prachtvollen Buntglasfenstern ausgestattet, 1490 erhielt Tilman Riemenschneider den Auftrag für einen monumentalen Hochaltar, 1504 wurde dieser von Veit Stoß farbig gefasst und mit Gemälden versehen.
Diese wertvolle Madonna stand ursprünglich auf dem Jörgentor. Jetzt ist sie im Henneberg-Museum zu bewundern.
Das 16. Jahrhundert brachte schmerzliche Einschnitte mit sich: 1525 beteiligten sich einige Münnerstädter im „Bildhäuser Haufen“ am Aufstand gegen den Adel und die Kirche. Er wurde niedergeschlagen und die Rechte der Stadtbürger wurden stark eingeschränkt. Nachdem bereits 1354 die Hälfte der Stadt unter die Herrschaft des Würzburger Bischofs gelangt war, wurde dieser nach dem Aussterben der Henneberger Grafenlinie 1585 zum alleinigen Stadtherrn. In der Folge zwang Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn diejenigen Bürger, die sich der protestantischen Lehre angeschlossen hatten, wieder zum Katholizismus zu konvertieren oder die Stadt zu verlassen. Daraufhin wanderten 80 meist wohlhabende Familien ab, wodurch das soziale Gefüge gehörig durcheinander geriet. Andererseits wertete der Bischof Münnerstadt durch eine intensive Bautätigkeit auf: Die imponierende Zehntscheune entstand, die Stadtpfarrkirche und das Obere Tor erhielten ihre heutige Gestalt, das Spital wurde reformiert und trägt seither als Juliusspital den Namen des Förderers; es ist heute als Altenheim eine wichtige Einrichtung in der Stadt.
Im 17. Jahrhundert litt Münnerstadt wie viele andere Orte unter dem Dreißigjährigen Krieg. Die abgebrochene Belagerung durch protestantische Truppen im Jahr 1641 ist bis heute sehr präsent: Zum einen wird am Fest der Geburt der Gottesmutter (8. September) aus Dankbarkeit für die Errettung der Stadt alljährlich eine feierliche Prozession zu den Stadttoren durchgeführt. Zum anderen wird das Ereignis jedes Jahr wieder in dem bekannten Laienschauspiel „Die Schutzfrau von Münnerstadt“ zu neuem Leben erweckt.
Fürstbischof Johann Philipp von Schönborn war es, der 1660 das erste und lange Zeit einzige Gymnasium der gesamten Region ins Leben rief – vom Augustinerorden geführt. Schüler aus einem sehr weiten Umkreis erfuhren hier ihre Bildung; für Generationen wurde Münnerstadt zum Inbegriff einer glücklichen Schulzeit, und umgekehrt drückten Schüler und Lehrer der Stadt ihren Stempel auf und machen sie bis heute zu einem auffallend weltoffenen und vielfältigen Ort.
Die historischen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts ließen auch in Münnerstadt eine neue Zeit anbrechen: Die Stadt wurde ab 1803 bayerisch. Als Sitz eines Landgerichts und mehrerer Ämter wurde sie ein Provinzzentrum am Rande des Königreichs. Nachdem Münnerstadt 1862 dem Landkreis Bad Kissingen zugeschlagen worden war, wurden allerdings nach und nach sämtliche Verwaltungsaufgaben ins Weltbad verlagert.
1868 erfolgte der Anschluss Münnerstadts an das Eisenbahnnetz und damit der Einstieg in die Moderne. Sowohl angenehme als auch negative Auswirkungen waren zu spüren.
Zum Ende des Zweiten Weltkriegs kam es durch einen Bombenangriff zu ernsten Schäden im Stadtbild. Der Zuzug von Flüchtlingen wirkte sich auf die Bevölkerungsstruktur aus. Durch die deutsche Teilung geriet Münnerstadt in eine Randlage; die Zuganbindung wurde gekappt. Mit der Wiedervereinigung fand sich Münnerstadt dann inmitten des geeinten Deutschlands wieder. Der Bahnverkehr wurde wieder aufgenommen, und mit der Fertigstellung der A 71 erhielt Münnerstadt 2005 einen eigenen Autobahnanschluss. Bereits 1990 war die historische Altstadt durch die Eröffnung einer Umgehungsstraße vom Durchgangsverkehr entlastet worden.
Neben das Gymnasium trat in der Nachkriegszeit eine weitere bedeutende Bildungseinrichtung: Aus der Zusammenlegung der Berufsschulen des Landkreises entstand das Berufsbildungszentrum (BBZ), das heute einen erfolgreichen Verbund aus sechs Berufsfachschulen bildet und zum Schuljahr 2020/21 einen Neubau am Rande der Münnerstädter Altstadt bezogen hat. Bundesweite Bekanntheit erhält die Stadt zudem durch das 2005 eröffnete Bundesausbildungszentrum der Bestatter. Neben diesem Charakter als Ausbildungsort für junge Leute, der Münnerstadt lebendig und für die Zukunft gerüstet erscheinen lässt, wird es gegenwärtig auch durch die Aktivitäten der Carl-von-Hess’schen Sozialstiftung geprägt. Durch sie entstanden in den jüngsten Jahren mehrere Einrichtungen der Altenpflege und des altengerechten Wohnens. Im Hinblick auf die Bevölkerungsstruktur in Deutschland ist auch dies eine zukunftsweisende Entwicklung.
Durch die Eingemeindung von zehn umliegenden Dörfern im Zuge der Gebietsreform 1972 wuchsen die Fläche und die Einwohnerzahl Münnerstadts mit einem Schlag enorm an. Diese Ausmaße stellen zugleich eine große Bereicherung und eine gewaltige Herausforderung dar. Die Herausforderung besteht für die Politik und die Verwaltung darin, den Bedürfnissen von bis zu 20 Kilometer voneinander entfernten Ortschaften gerecht zu werden. Die Bereicherung liegt auf der wirtschaftlichen, aber insbesondere der kulturellen und gesellschaftlichen Ebene: Das Stadtgebiet Münnerstadts umfasst über 93 Quadratkilometer der äußerst reizvollen Kulturlandschaft zwischen Rhön und Grabfeld mit einzigartiger Natur, pittoresken Dörfern und reizvollen Ausblicken. Einige kleine bis mittelgroße Unternehmen tragen zum Auskommen der Menschen bei, ohne die schöne Landschaft zu beeinträchtigen. Die Stadt ist stolz auf über 100 aktive Vereine. Sie besitzt mit dem Kloster Maria Bildhausen eine Einrichtung des Dominikus-Ringeisen-Werks für Menschen mit Behinderungen, die durch ihre vielfältigen Aktivitäten einen unbezahlbaren gesellschaftlichen Beitrag leistet; dadurch befindet sich einer der schönsten und größten Golfplätze Deutschlands im Münnerstädter Stadtgebiet.
Die Liste, was Münnerstadt ausmacht, ließe sich fortführen. Doch lässt es sich auch ganz einfach auf den Punkt bringen: Münnerstadt – 1250 Jahre Stadt, Land Leben.