Kartoffelkönig Eduard Stenger blickte mit langjährigen Freunden zurück.
Dass Eduardus I., Rex Concilii Potatonis, seine Untertanen zu sich ruft, ist selten geworden. Früher war dies jährlich der Fall: Ende Oktober in streng limitierter Zahl im exklusiven Ambiente des von ihm geleiteten städtischen Schulmuseum in Sendelbach, und zwar logischerweise – da es die Vorzüge der tollen Knolle zu preisen galt – im Kellergewölbe. Diesmal diente die Buchenmühle unterhalb der Wallfahrtskirche Mariabuchen einer illustren, genau 30-köpfigen Gesellschaft als Festsaal. Kartoffelkönig Eduard Stenger hatte geladen, köstliche potatonische Speisen zu verzehren und unter dem Motto „Abend der Erinnerungen“ die selbigen in wortgewandten Vorträgen zum Besten zu geben. Nachdem er die Eifrigsten und Treuesten mit mannigfaltigen Orden dekoriert hatte, erfuhr er für ihn überraschend selbst eine besondere Würdigung. Das Oberhaupt im Staate der Kartoffel hatte versäumt, sein silbernes Kronjubiläum zu begehen. Dies sollte mit süßem Naschwerk nachgeholt werden.
Bernhard Schneider, ordentliches Mitglied der Societas ad Usum Potatonis, hatte Konditormeisterin Gertrud Geis mit der Herstellung einer standesgemäßen Torte beauftragt: Auf cremigem Polster thront ein trollig-knolliges Paar und blickt auf eine Schar vermeintlich frohlockender und in Wirklichkeit verlockender Marzipankartoffeln. Umgehend schritt und schnitt König Eduard unter Anleitung seiner Gemahlin Ute zur Tat und ließ sein versammeltes Volk am ihm überreichten Präsent großzügig teilhaben.
Staatlich legitimiert
Schneider, von Beruf Journalist und von seiner Majestät schon in den frühen Jahren der Regentschaft in den Rang eines kartoffelköniglichen Kartoffelredakteurs erhoben, berichtete den Anwesenden von einer Pressefahrt Anfang der 1990-er mit dem damaligen bayerischen Landwirtschaftsminister Hans Maurer. Es ging zu den Kartoffelzucht- und -vermarktungszentren im Landkreis Hof. Der Tross steuerte auch Pilgramsreuth an, wo1647 der Bauer Hans Rogler nachweislich als Erster in Deutschland die aus den Anden eingeführten Erdäpfel (fränkisch: „Erpfl“) feldmäßig anbaute.
Der Minister hörte hier von Schneider über einen ungewöhnlichen Verein in Lohr a. Main. Die hiesigen Schulmeister Hans Schönmann und Eduard Stenger hatten ihn im Hinblick auf ihren 50. Geburtstag aus der Taufe gehoben eingedenk dessen, dass sie ihr Dasein in den kargen Jahren während und nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem dem Genuss der Kartoffel zu verdanken hatten. Ihr Ziel: das Nachtschattengewächs ans Licht der Öffentlichkeit holen – Ansehen, Verbreitung und Verbrauch des universalen und gesunden Nahrungsmittels fördern.
Maurer, der ebenfalls Lehramt studiert hatte, reagierte seinen Kollegen gegenüber äußerst wohlgesinnt: „Wenn jemand in Bayern mit Fug und Recht den Titel Kartoffelkönig tragen darf, dann ist es der Vorsitzende des Lohrer Kartoffelklubs.“ Wenige Wochen später setzte Schneider gewissermaßen als Botschafter der Staatsregierung dem Kartoffelliebhaber Stenger eine somit legitime weißblaue Krone aufs Haupt.
Literarisches Dessert
Nach leckerem Kartoffelschmaus aus der Buchenmühle-Küche servierten die weiteren Referenten des Abends jeweils ein literarisches Dessert. Horst Schiffler, emeritierter Professor der Sozialpädagogik, hatte manches Werk großer Schriftsteller in deren Stil ein wenig „inhaltlich korrigiert“. Erleben durfte die Entstehung der bis dato unveröffentlichten Poetik nach Schifflers Erzählung ein bemerkenswerter Akteur, nämlich „Der Kartoffelkönig in der Zeitmaschine“. Clio, die Muse der Geschichte, schickte Eduard I. auf eine Reise, auf der er unter anderem im Jahr 1800 Johann Wolfgang von Goethe zu einem erweiterten Drama inspirierte. In diesem reimt Mephistopheles: „Ein Teufel schöpfet aus dem Vollen, macht Erdäpfel zu Liebesknollen. Ein Zauberwort, ein Fingerstreifen lässt Liebesmagie darin reifen. Es ist, wenn Margarete sie berührt, als hätte Faust das Mädchen selbst verführt. Kartoffelzauber allerwegen sind viele Frauen schon erlegen. Und Wirkung zeigen auch beim Manne die Bratkartoffeln in der Pfanne. Hier könnte man das Sprichwort sagen, die Liebe ginge durch den Magen.“ – Ferner flüsterte Eduard 1866 dem Wilhelm Busch einen neuen Streich von „Max & Moritz“ ein, animierte 1905 Christian Morgenstern zu einer Anleitung für ein Kartoffeleck in jedem Keller („Der Lattenzaun“), sorgte 1921 bei Rainer Maria Rilke wegen einer reichen Kartoffelernte für helles Entzücken über einen „Herbsttag“ und ließ 1934 Eugen Roth eine hervorragende „Königswahl“ treffen …
Dazu passte bestens Roswitha Beichlers Rezitation der „Geschichte vom Kartoffelkönig“. Zuvor lieferte Diplom-Ingenieur Lutz Dathe Antworten auf drängende Fragen der Menschheit durch Hinweise auf einschlägige Textstellen. So hat beispielsweise Carl Zuckmayer es so erklärt, warum die Kartoffel „erfunden“ wurde: „Damit die armen Leute auch jemanden haben, dem sie die Haut abziehen können.“ Ludwig Hegel verriet zum Schluss, dass ein Zuviel an Kartoffelklößen eine Nebenwirkung haben kann: „Der Anzug wird dann langsam knapp, die Knöpfe fallen alle ab.“
Ordensverleihungen
Ausgesprochen zackig traten alle Erwählten zur Ehrung für außerordentliche Verdienste vor ihren König. Medaillen in Gold oder Bronze verlieh er ihnen. Dies waren: Horst Schiffler, Wulf Wedde (General der Infanterie a. D. und kartoffelköniglicher Chefstratege), Lutz Dathe, Bernhard Schneider, Udo Kleinfelder (Hoffotograf), Ernst Huber (Internetbeauftragter), Klaus Rüfer (Rundfunkkorrespondent), Karl Anderlohr (ehemaliger Chefredakteur der Lohrer Zeitung), Bettina Merz (Pressereferentin des Schulmuseums) und Bernd Werkmeister. Letzterer bildet gemeinsam mit Siggi Elstner und Edi Stenger die Potato King’s Band. Zur Urbesetzung als Potato Blues Band gehörte am Kontrabass Dr. Gerhard Heinstein. In Memoriam sang Werkmeister das von Heinstein arrangierte Kartoffelesserlied so sonor, wie jener es immer mit seiner Reibeisenstimme rüberbrachte.
| Fotos: B. Schneider