Wenn die Machtilshäuser heuer am dritten Wochenende im Juli das 1200-jährige Bestehen ihres Ortes mit einem abwechslungsreichen Jubiläumsprogramm einschließlich Festgottesdienst, Musik und Mode sowie historischen Fahrzeugen, Fotos und Handwerkskünsten feiern, dann laden sie als Erstes zu einer geführten Wanderung auf ihren neuen KalkKultur-Weg ein. Die seit Jahrzehnten unermüdlichen Mitglieder des Vereins für Gartenbau, Brauchtums- und Heimatpflege haben die fünf beziehungsweise sechs Kilometer lange Strecke bereits ausgeschildert und insgesamt neun Etappenziele so detailliert auf Infotafeln beschrieben, dass diejenigen, die nicht auf den besonderen Anlass warten mögen, sofort auf Tour gehen können.
Wer alles zu lesen bereit ist, sollte bis zu zweieinhalb Stunden einplanen. Das gilt für beide Routen. Kurioserweise ist es geschickter, die kürzere zu wählen, um wirklich keine Erklärstation zu verpassen.
Offizieller Start ist in der Ortsmitte auf dem Dorfplatz. Bei Anreise per Pkw bietet es sich jedoch an, am Pendlerparkplatz zu beginnen – an der Kreuzkapelle, an die sich alle, die schon einmal an Machtilshausen vorbeikamen, bestimmt erinnern. Sie steht an der Bundesstraße 287 nahe der Autobahnanschlussstelle Hammelburg. Machtilshausen gehört seit 1978 zum Markt Elfershausen. Die weithin sichtbare Trimburg überragt das Gemeindegebiet.
Kennzeichnend: die Kreuzkapelle
Das etwa 550 Einwohner zählende Machtilshausen schmiegt sich in ein Seitental der Fränkischen Saale und verfügt über immerhin 17 Baudenkmäler. Wer nicht extra abbiegt, nimmt nur die Kreuzkapelle wahr, und zwar als Friedhofskirchlein. Der Gottesacker wurde allerdings erst um 1870 hierher verlegt. Da gab es sie schon 140 Jahre – im Stil des Spätbarocks als Nachfolgerin eines kleineren Holzbaus. Jener war wohl schon im Mittelalter ein vielbesuchter Wallfahrtsort an einer belebten Handelsstraße, die wahrscheinlich auch ein Zubringer zum Jakobsweg nach Santiago de Compostella war.
Die Kreuzkapelle besitzt nur einen Dachreiter, keinen Turm. Der Innenraum entfaltet hingegen echte Pracht. Der Hochaltar ist dem Kreuz Jesu geweiht. Und ein Partikel dessen befindet sich in einem Altarkreuz, das vor allem am Fest der Kreuzerhöhung (14. September) im Mittelpunkt steht. Weil in der Vergangenheit öfters etwas gestohlen wurde, bleibt die Kapelle aktuell an normalen Tagen verschlossen.
Gegen ungebetene Eindringlinge in ihren Ort – egal ob wilde Tiere oder Räuber- und Kriegsbanden –hatten die Machtilshäuser einen künstlich aufgeschütteten Erdwall zusätzlich mit Schwarzdornhecken bepflanzt. Die Ein- beziehungsweise Ausfallstraßen waren durch Tore gesichert. Es gab das Untertor, das Hirtendorf sowie das Ober- oder Weinbergstor. Rebhänge wurden schon 824 bei der Ersterwähnung von „Matholfeshuson“ aufgelistet: Ein gewisser Matholf aus der adeligen fränkischen Mattonen-Familie fasste sieben Einzelhöfe zusammen. – Bereits 788 schenkte der Edelmann Matto der Abtei Fulda ein an der Saale gelegenes Kloster. Davon ist aber nichts weiter bekannt.
Zeugnis des früheren Lebens
Gut erforscht ist hingegen die Geschichte des ältesten Gebäudes im Dorf, das zugleich eines der ältesten Fachwerkhäuser in Bayern ist. Dieses wurde um 1485 für den Schultheißen errichtet, diente dann aber über Jahrhunderte bis 1960 als Wohnung und Werkstatt des Schreiners. So wird es jedenfalls heute genannt: Schreinersch-Haus. Ins Freilandmuseum nach Fladungen sollte es versetzt werden. Doch dann packten einmal mehr die engagierten „Heimatpfleger“ mit an. Mit hohen Zuschüssen, aber auch in unzähligen Arbeitsstunden konnten sie durch eine aufwändige Sanierung von 1995 bis 2003 die Hofstelle als Dorfmittelpunkt mit Gast- und Museumsräumen für die Nachwelt erhalten. Sie ist ein Zeugnis für die Art zu leben in früherer Zeit. Außer bei verschiedenen Festen und Märkten dürfen Interessierte jedes Jahr am 3. Oktober hinter die Kulissen schauen.
Selbstverständlich jederzeit zugänglich sind die Naturschönheiten Machtilshausens. 1992 wurden im Nordosten und Süden über 250 Hektar als Schutzgebiet ausgewiesen. Bemerkenswert ist der Kontrast zwischen dem wasserreichen Tal und dem Trockenmagerrasen sowie dem Steppenheidewald auf den Anhöhen. Das Wasservorkommen aus ursprünglich 27 Quellen war sicher mit ursächlich dafür, in diesem Geländeeinschnitt zu siedeln. Heute ist der Ort wegen hoher Nitratwerte an eine Ringleitung angeschlossen. Das Feuchtgebiet nutzten einst die Bauern und Leinenweber, um Flachsstängel einzuweichen und daraus Fasern zur Stoffherstellung zu gewinnen.
Historische Trockenmauern
Bergan war die sonnenexponierte Lage prädestiniert für den Weinbau. Häcker schichteten an den steilen Hängen zunächst Fund- und später Bruchsteine zu Trockenmauern auf und schufen Terrassen. 1980 wurden aus allen historischen Weingärten Bayerns lediglich sechs als Denkmäler bestimmt, darunter auch einer in Machtilshausen. Der hier bis ins erste Jahrtausend zurückreichende Weinbau war fast erloschen. Der Landkreis Bad Kissingen hält ihn mit seiner Initiative „Grüngitter“ aufrecht.
Während 1895 noch 24 Hektar Rebfläche bestockt waren, bestand davon 90 Jahre danach nur noch ein halber Hektar. Trauben mit einem blumigen Bukett wuchsen unter anderem in der Sommerleite und am Heiligenberg. Wegen Schädlingen und Wetterextremen resignierten zwischen den Weltkriegen eine ganze Reihe Winzer. Zudem wollte niemand mehr mit und wie die Esel schuften. Die ehemaligen Weinbergsparzellen verbuschten überwiegend durch Schlehen. Auch wertvollen Pflanzenarten breiteten sich auf den nährstoffarmen Kalkböden aus. Und angepasste Tiere eroberten das bunte Vegetationsmosaik: Eidechsen und Ödlandschrecken, Baumpieper und Dorngrasmücken, …
An die aufgelassenen Weingärten schließt sich auf dem Wacholderberg ein zuweilen recht offener Wald an, in dem beispielsweise Kuhschellen und Orchideen ihren Platz finden. Das seltene Französische Ahorn sorgt unter der dominierenden Buche im Herbst für einen herrlichen Farbmix. Kiefern verströmen einen harzigen, würzigen Duft. Umgestürzte, verwitternde Bäume erscheinen mystisch im Gegenlicht. Immer wieder tauchen kahle Stellen des ehemaligen Muschelkalkabbaus auf.
Baustoff Kalkstein
Im Trias vor 250 bis 200 Millionen Jahren waren weite Teile Mitteleuropas überflutet. Die Ablagerungen von Schlamm und Meeresorganismen bildeten schichtweise den Muschelkalk. Durch die Verschiebung der Erdplatten wurde der für die Menschen als Baumaterial brauchbare sogenannte Schaumkalk an die Oberfläche gedrückt. Das Dorfbild von Machtilshausen ist geprägt von entsprechenden Sockeln, Gewölben, Toreinfahrten und Einfriedungen. Beim Wiederaufbau Deutschlands bis in die 1960er-Jahre, bevor industriell hergestellter Zement aufkam, erlebte das Kalkbrennen einen letzten Aufschwung – auch in Machtilshausen. Erneut sind es die Leute aus dem Gartenbau-, Brauchtums- und Heimatpflegeverein, die mit einem nachgebauten Ofen für zwei Tonnen Kalkgestein vor Augen führen, wie sich die Arbeiter plagen mussten und welchen gesundheitlichen Gefahren sie ausgesetzt waren. Der wunderschöne Blick hinunter aufs Dorf wird ihnen ein schwacher Trost gewesen sein.
Auffällig erhebt sich aus der ein- bis dreigeschossigen Bebauung die Pfarrkirche St. Jakobus. Der Julius-Echter-Turm lässt vermuten, dass sie aus dem 16. oder 17. Jahrhundert stammt. Jein. Das Schiff der ersten (Wehr-)Kirche von 1502 wurde 1909 eingelegt und neu errichtet. Der alte Turm wurde 1944 durch ein Feuer komplett zerstört. Dabei schmolz auch die einzige nicht für die Waffenindustrie eingezogene Glocke: die Friedensglocke. 1948 bauten sich die Machtilshäuser einen neuen Turm. Besonders ist im Innern der Kirche ein geschnitzter und farblich gefasster Kreuzweg von 1922, unterm Dach die zweitgrößte Fledermauskolonie des Großen Mausohrs und an der Außenwand eine der ältesten fränkischen Darstellungen des Pilgerpatrons, des heiligen Jakobus, aus gelbgrünem Sandstein im Stil der Renaissance von 1587. Welcher Verein kümmerte sich wohl 2007 um die Restaurierung der Figur?
| Fotos: B. Schneider