Sonderausstellung im Spessartmuseum: Erinnerungsstücke und ihre ans Herz gehende Geschichte

Briefe mit buntem Band und Schleifchen gebündelt. Poesiealbum. – Alles von gestern. Heute werden Nachrichten an Freunde, die noch so genannt werden, aber oft keine sind, im Chatverlauf gespeichert; im besten Fall auf einem externen Datenträger, häufig in der Cloud im Irgendwo. Dass es künftig immer weniger greifbare Erinnerungsstücke geben wird, fürchtet die Volkskundlerin Barbara Grimm, Leiterin des Spessartmuseums im Schloss in Lohr a. Main, und hat deshalb mit ihrem Team eine bemerkenswerte Sonderausstellung konzipiert. Der anrührende Titel: „Ans Herz gewachsen“. 

Die Museumsleute rückten nicht nur Exponate mit außergewöhnlichem Hintergrund wie eine aus Anlass des Friedensschlusses zwischen Deutschland und Frankreich 1871 vom Lohrer Bürgermeister an die Kinder der Stadt verteilte Butterbrezel ins Scheinwerferlicht. Sie riefen allgemein auf, im privaten Fundus zu kramen und die jeweilige Geschichte zu den liebgewonnenen Dingen aufzuschreiben. Rund 60 Leihgeber brachten erstaunliche Episoden aus der Familien-, Orts- oder gar Weltgeschichte komprimiert auf maximal einer Seite zu Papier. Eine Ausnahme, wo die Besucher (fast) nichts lesen, sondern nur zuschauen und zuhören brauchen, bildet der mehrfach ausgezeichnete Film „Großeltern“ der in Partenstein aufgewachsenen Dokumentarfilmerin Nicole Scherg.

Ein Paradies …

Nicht der materielle Wert gebe einem persönlichen Erinnerungsstück Bedeutung, sondern die damit verbundene Geschichte, hob Main-Spessarts Landrat Thomas Schiebel als Hausherr des Museums bei der Ausstellungseröffnung im vergangenen Dezember hervor. Und er zitierte den in Franken beheimateten romantischen Schriftsteller Jean Paul (1763 – 1825): „Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.“

Selbstverständlich werden unterschiedliche Spielsachen gezeigt wie ein knuddeliger Teddybär und ein bis ins Detail dem damaligen Alltag nachempfundener Kinderkaufladen. Ebenso total Verblüffendes und absolut Rares: ein Altimeter (= barometrischer Präzisionshöhenmesser), Schlangenlederschuhe, die kleinste und die größte Mausefalle der Welt, das Gedenkblatt, das den 200 geladenen Ehrengästen bei der Eröffnung der ersten deutschen Eisenbahnstrecke zwischen Nürnberg und Fürth 1835 überreicht wurde, und eine Zigarre, mit der ein hochherrschaftlicher Jäger vor gut 100 Jahren im entferntesten Winkel seines Herrschaftsbereichs seine Dankbarkeit erwies …

Kleinste Mausefalle der Welt | Foto: B. Schneider
Kleinste Mausefalle der Welt | Foto: B. Schneider
Ehrenblatt zur Erinnerung an die Eröffnung der ersten deutschen Eisenbahnstrecke | Foto: B. Schneider
Ehrenblatt zur Erinnerung an die Eröffnung der ersten deutschen Eisenbahnstrecke | Foto: B. Schneider
Prinzregentenzigarre | Foto: B. Schneider
Prinzregentenzigarre | Foto: B. Schneider

Prinz Luitpold von Bayern (1821 – 1912), ab 1886 Prinzregent in Vertretung des nicht regierungsfähigen Otto I., kam über 50 Jahre lang zur Wildschweinjagd in den Spessart. Sein bevorzugtes Jagdgebiet: der königliche Wildpark im Bereich der Forstämter Bischbrunn, Altenbuch und Rohrbrunn. Auf den rund 6.000 Hektar mussten bei den meist zehntägigen Hofjagden stets 500 bis 700 Stück Wild ihr Leben lassen. Bei seinem letzten Aufenthalt im Spessart soll der 90-jährige Prinzregent 133 Wildsauen erlegt haben. Sehr zufrieden mit seinem Lakai Josef Kraft aus Lohr schenkte er diesem im Januar 1912 eine Havanna-Zigarre. Die rot-gold-weiße Papierbanderole trägt den Aufdruck: „H-Cabanas y Carbayal-Pinar del Rio-Real Fabrica“. Luitpold starb übrigens am 12.12.12 um 12.

Kruzifix rettete den Besitz

Vielfältig sind die Gründe, weshalb Manches die Zeiten, sogar ganz schlechte Zeiten, überdauerte. Beispielsweise rettete ein Kreuz die spärliche Habe einer Vertriebenenfamilie in Böhmen. Eine Frau, die in Kreuzwertheim eine neue Heimat fand, berichtet über eine Holztruhe, in der sie später „Reliquien von Bescheidenheit“ verwahrte: „Im Mai 1946 diente sie meiner Mutter und mir (der Vater war noch in russischer Gefangenschaft) als einziges Hab und Gut, was wir von Haus, Hof und Geschäft mitnehmen konnten. Ein paar Tage blieben Zeit zum Füllen der Truhe. Aber der Inhalt durfte 50 kg nicht übersteigen. Meine Mutter hatte die Truhe völlig überladen. Die tschechische Dorfkommission wollte die Truhe nicht auf das Transportfahrzeug laden lassen. Einer öffnete sie mit der Absicht, Dinge, die ihm gefielen, herauszunehmen – wie bereits bei anderen Familien praktiziert. Meine Mutter hatte sich nicht von ihrem auch zur Aussteuer gehörenden Kruzifix trennen können und hatte es obenauf gelegt. Der Kontrolleur stutzte, fasste das Kreuz an, um es auf die Seite zu legen, ließ es dann aber wie elektrisiert fallen, stieß ein paar Flüche aus und knallte den Deckel zu.“

Eine Reihe von Stücken aus dem religiösen Leben sind wesentliche Bestandteile der bis zum Herbst noch laufenden Ausstellung. Ein handgeschriebenes Gebetbuch gehörte der Industriellenfamilie Rexroth. Aus gutbürgerlichem Haus stammt ein Glasperlenkranz mit Bildnismedaillon. Die aus bunt schillernden Kügelchen unter anderem aus der Spessartglashütte Einsiedel im Hafenlohrtal hergestellten kunstvollen Gebilde schmückten noch in den 1950er-Jahren an Allerheiligen und Allerseelen die Gräber. Wer sich sie nicht leisten konnte, nahm „grüne Wedel“ (Fichten-, Tannen- und Kiefernzweige).

Glasperlenkranz mit Bildnismedaillon | Foto: B. Schneider
Glasperlenkranz mit Bildnismedaillon | Foto: B. Schneider

Und letztlich darf in einer Ausstellung übers Erinnern auch eine Darstellung des Heiligen nicht fehlen, der helfen soll, wenn man etwas verloren hat: St. Antonius. Im Spessartmuseum gibt es von ihm gleich zwei Figuren, weil man vorübergehend vergessen hatte, wohin man die erste gestellt hatte.

Museumschefin Barbara Grimm steuerte übrigens aus dem eigenen Kleiderschrank etwas zur jetzigen Ausstellung bei, das in dieser Form heute ebenso selten noch anzutreffen ist wie per Post verschickte Freundschaftsbriefe. Es handelt sich um eine Jeans, bei der die Oma für Ersatz an einer Stelle gesorgt hat, wo der Stoff der Dauerbeanspruchung nicht standhielt. Jetzt wartet man diesen Zeitpunkt nicht mehr ab, sondern reißt aus modischen Gründen Schlitze in Neuware. Wer weiß noch, wie man seine Hose in der Badewanne in Form brachte, sie im Liegen anzog und sie am liebsten nie wechselte?


Treppenturm mit fürstbischöflichem Wappen | Foto: B. Schneider
Treppenturm mit fürstbischöflichem Wappen | Foto: B. Schneider

Schatzkammer der Region

Das Lohrer Schloss aus dem 14. Jahrhundert beherbergt das Spessartmuseum. Dieses hat seinerseits auch schon eine über 80-jährige Geschichte. Begonnen hatte es mit einer Dauerausstellung im Rittersaal. Ansonsten war das Haus als Bezirks- bzw. Landratsamt genutzt und als Sitz der Verwaltungsgemeinschaft Lohr. Mit einer hauptberuflichen wissenschaftlichen Mannschaft erfolgte der Ausbau über alle Stockwerke hinweg. Heute gilt das Museum als Schatzkammer der Region. Unter dem Motto „Menschen und Wald“ kann man auf über 2.000 mdie Besonderheiten des Spessarts kennen lernen. In der rauen Waldlandschaft ging es ums Überleben. Hier waren Einfallsreichtum und Geschick gefordert.

Die Besucher begegnen unter anderen vielen alten Berufen: Steinhauer, Häfner, Schmied, Schiffsbauer, Wagner, Büttner, Schreiner und Glasmacher. In Lohr wurden einst auch „sprechende“ Spiegel produziert … Alles wird nicht einfach nur gezeigt. Da wird eine Hofjagd inszeniert oder ein Überfall durch die gefürchteten Räuber. Schon beim Betreten des Eingangsbereichs taucht man ein in eine Welt voller Nostalgie und Erinnerungen; man steht mitten in einem Kramladen mit Süßigkeiten, deren Geschmack noch aus Kindertagen unauslöschlich präsent ist.

Kaufladen des Spessartmuseums mit jeder Menge Süßigkeiten | Foto: B. Schneider
Kaufladen des Spessartmuseums mit jeder Menge Süßigkeiten | Foto: B. Schneider

Bis 23. September 2018 sind die ans Herz gewachsenen Erinnerungsstücke zu sehen während der üblichen Öffnungszeiten des Spessartmuseums: Dienstag bis Samstag von 10:00 bis 16:00 Uhr sowie sonn- und feiertags eine Stunde länger bis 17:00 Uhr. Der Eintrittspreis beträgt regulär 3,00 € und ermäßigt 2,00 €; Kinder, die noch nicht zur Schule gehen, haben freien Eintritt. 

3 Antworten auf „Sonderausstellung im Spessartmuseum: Erinnerungsstücke und ihre ans Herz gehende Geschichte“

  1. Da hast du wieder mal einen schönen Bericht über unser geliebtes Spessartmuseum geschrieben. Dass Prinzregent Luitpold am 12.12.1912 um 12 Uhr gestorben war mir nicht gekannt!

    1. Am 12.12.12 um 12 dahinzuscheiden, hat nur ein bayerischer Monarch hinkriegen können. Jener königlichen Hoheit haben wir auch die Prinzregententorte zu verdanken. Entgegen der landläufigen Vorstellung hat diese nicht sieben, sondern acht Biskuitschichten – dazwischen Schokoladenbuttercreme. Die Zahl der Schichten entspricht der Zahl der bayerischen Regierungsbezirke. Heute: Niederbayern, Oberbayern, Schwaben, Oberpfalz, Unterfranken, Mittelfranken, Oberfranken. Zu diesen sieben gehörte zur Zeit des Prinzregenten noch die Pfalz (am Rhein) als achter Regierungsbezirk. Diese Verbindung ist heute noch in der Bamberger Kirchenprovinz gegeben. Sie setzt sich zusammen natürlich aus dem namensgebenden Erzbistum Bamberg sowie den Bistümern Würzburg und Eichstätt. Komplett macht sie das Bistum Speyer in der Pfalz.

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