Kindern gehört Kästners Glücksklee

Am 23. Februar jährt sich Erich Kästners Geburtstag zum 125. und am 29. Juli sein Todestag zum 50. Mal. Vielfaches Gedenken allerorten. Am nächsten kommt man dem erfolgreichen Schriftsteller wohl im zwischen den Westausläufern des Steigerwalds gelegenen Markt Oberschwarzach an der Grenze zwischen Unter- und Oberfranken. Hier befindet sich Kästners Erbe. Das hängt damit zusammen, dass er Kinder überaus wertschätzte.

Erich Kästner (1899-1974)
Erich Kästner (1899-1974)

Wer sich aufmacht ins Tal der Schwarzach, stößt am Ende des Erich-Kästner-Wegs auf die Steinmühle. In ihr leben Mädchen und Jungen, denen Schlimmes widerfuhr, die aus unterschiedlichen Gründen nicht bei ihren leiblichen Eltern sein können beziehungsweise dürfen. Wie in einer Familie können sie hier ab einem Alter von zwei bis längstens 21 Jahren zu Hause sein. Sie werden einfühlsam betreut sowie auf dem Weg in ihre Selbstständigkeit heilpädagogisch und therapeutisch gefördert.

Eben wegen dieser Wohngruppe wurde aus der ehemaligen Tenne der Steinmühle ein Erich-Kästner-Museum – bestückt mit den persönlichen Gegenständen des großen Menschen- und insbesondere Kinderfreunds. Ein Schatz, den es zu heben gilt, ist Kästners Bibliothek mit fast 10 000 Büchern. Kollegen wie Karl Zuckmayer und Wolfgang Borchert widmeten ihm in manchem Band persönliche Zeilen.

Die Steinmühle beherbergt ein kleines, aber feines Museum auf der Tenne. Es führt in die Welt von Erich Kästner.
Die Steinmühle beherbergt ein kleines, aber feines Museum auf der Tenne. Es führt in die Welt von Erich Kästner.

Der Verein „Erich Kästner Kinderdorf“, privater Träger der Jugendhilfe, verwahrt den Nachlass seines Namensgebers ausdrücklich nicht bloß. Vorsitzender Gerald Möhrlein und Geschäftsführerin Eva-Maria Hoffart laden herzlich ein, beispielsweise im Sessel des berühmten Mannes Platz zu nehmen und zu schmökern oder an seinem Schreibtisch wissenschaftlich zu arbeiten. „Hie und da sind Randnotizen zu entdecken“, verraten sie, „zuweilen ein zwischen die Seiten geratener Einkaufszettel, sogar ein säuberlich gepresster vierblättriger Glücksklee.“ Berühren erlaubt, aber nicht einstecken!

Wer mag sich am Schreibtisch eines großen Geistes inspirieren lassen?
Wer mag sich am Schreibtisch eines großen Geistes inspirieren lassen?
In Erich Kästners Bibliothek schmökern – und dabei vielleicht auf seinen Glückklee stoßen.
In Erich Kästners Bibliothek schmökern – und dabei vielleicht auf seinen Glückklee stoßen.

Ein Stück den Bach abwärts gibt es noch die Wiesenmühle. Dieses weitere von insgesamt sechs Kinderdorf-Familienhäusern in den Landkreisen Kitzingen und Schweinfurt heißt KästnerHof. Auf dessen Gänseweide pflanzte am Weltkindertag 2023 Würzburgs Bischof Dr. Franz Jung gemeinsam mit dem Leiter des Amtes für Ländliche Entwicklung Unterfranken, Jürgen Eisentraut, einen Apfelbaum der zu diesen Zeitpunkt 111 Jahre alten Sorte Bischofsmütze. Das war der erste von zusammen 50 jungen Hochstämmen: Birnen, Quitten, Zwetschgen und allerlei Wildfrüchte – finanziert über das landesweite Programm „Streuobst für alle!“, das für biologische Vielfalt in der Natur sorgen soll.

Bischof Franz verglich das Gedeihen der Bäumchen mit dem der Kinder. Feste Wurzeln auszubilden, sei entscheidend für alles Folgende. Oder wie Erich Kästner es formulierte: „Die meisten vergessen ihre Kindheit wie einen Schirm und lassen sie irgendwo in der Vergangenheit stehen. Und doch können nicht vierzig, nicht fünfzig spätere Jahre des Lernens und Erfahrens den seelischen Feingehalt der ersten Jahrzehnte aufwiegen.“

Solche programmatischen Sätze bestärkten vor 50 Jahren die Pädagogin Gunda Fleischhauer, etwas anders zu machen, wie sie es von ihrer Festanstellung in Würzburg kannte. In Mainbernheim bekam sie die Möglichkeit, ein tatsächlich fürsorgliches Heim zu verwirklichen. Die Gründerin erläuterte Erich Kästner in einem sechsseitigen Brief, warum sie ihn als Namenspaten gewinnen möchte. Schmunzelnd berichtet sie, dass der Angefragte sehr knapp per Telegramm am 26. Mai 1974 antwortete: „Bin mit Kinderdorfbenennung einverstanden.“

Fünf Worte als Antwort auf einen sechsseitigen Brief.
Fünf Worte als Antwort auf einen sechsseitigen Brief.

Schulen, die nach Erich Kästner benannt sind, gibt es eine ganze Reihe, aber nur ein Kinderdorf. Deshalb bedachte Luiselotte Enderle (1908-1991), für mehr als drei Jahrzehnte Kästners Lebensgefährtin, die Franken per letztem Willen. Übrigens verdiente sie ihren Unterhalt ebenfalls mit dem Schreiben; unter anderem lieferte sie das Drehbuch zu dem Filmklassiker „Das Wirtshaus in Spessart“. Jedenfalls vermachte sie dem Kinderdorf das gesamte Inventar des Hauses Flemingstraße 52 in München, wo das Paar sich nach der kriegsbedingten Flucht aus Berlin angesiedelt hatte.

Der gedeckte Tisch wie seinerzeit im Haushalt von Luiselotte Enderle und Erich Kästner.
Der gedeckte Tisch wie seinerzeit im Haushalt von Luiselotte Enderle und Erich Kästner.

Verschiedene Exponate würde die Gemeinde, obwohl Kästner nie in Oberschwarzach weilte, gerne im sogenannten Julius-Echter-Schloss zeigen. Jener Fürstbischof hatte, nachdem die nahe Stollburg im Bauernkrieg zerstört worden war, den Auftrag erteilt, das bestehende Schlossgut zum neuen Amtshaus umzubauen. Es war dann noch Sitz der örtlichen Gendarmerie, des Revierförsters und des Pfarrers. Künftig soll es als Rathaus und universaler Treffpunkt für Einheimische und Gäste genutzt werden. Eine original ausgestattete Kästner-Stube außerhalb des Kinderdorfs ist jedoch testamentarisch ausgeschlossen. Was die kommunale Quartiersmanagerin Anneke Schilling für Zukunft im besten Wortsinn nicht für abwegig hält, ist ein Erich-Kästner-Rundwanderweg. Schon bisher bietet es sich an, in die wald- und weinreiche Umgebung auszuschwärmen. Beliebte Fernverbindungen sind der Kelten-Erlebnisweg, der 2-Franken-Radweg und der Steigerwald-Panoramaweg.

Katholische Pfarrkirche St. Peter und Paul, Mariensäule und Julius-Echter-Schloss im Zentrum von Oberschwarzach.
Katholische Pfarrkirche St. Peter und Paul, Mariensäule und Julius-Echter-Schloss im Zentrum von Oberschwarzach.

Kürzere Touren beginnen am neuen Generationenplatz mit Fitness- und Spielgeräten (gegenüber dem Feuerwehrhaus) beispielsweise zur 14-Nothelfer-Kapelle auf dem Hörnle; die Strecke streift einen Museumsweinberg mit bis zu 150 Jahre alten Rebstöcken. Der Kammerforster Teufel bringt den Trank der Götter schon seit dem 9. Jahrhundert belegt. Auf dem Gebiet des Marktes Oberschwarzach mit seinen neun Ortsteilen erstrecken sich rund 120 Hektar Weinberge, darunter der mit etwa 440 Metern höchste in Franken – am Handthaler Stollberg, wo vielleicht der Minnesänger Walther von der Vogelweide das Licht der Welt erblickte. Hinauf zum dortigen terroir f, einem der magischen Orte des Frankenweins, führt der Weg der Erkenntnis.

Umweltbildung in ganz kurzweiliger Form: das Steigerwald-Zentrum.
Umweltbildung in ganz kurzweiliger Form: das Steigerwald-Zentrum.

In Handthal ist ein Abstecher zum architektonisch wie inhaltlich bemerkenswerten Steigerwald-Zentrum Pflicht. Sich achtsam gegenüber der Schöpfung zu verhalten, ist das beherrschende Thema der von den Staatsforsten initiierten Bildungseinrichtung. Da liegt es nahe, dass direkt vor der Tür ein Franziskusweg startet; der Heilige bezeichnete die Tiere als Brüder und Schwestern. Aus Stein gehauen sitzt er mit einem Taubentrio an der Wandererschutzhütte auf dem Wiebelsberg. Die Buntglasfenster des um 1850 errichteten Kirchleins St. Lukas in Mutzenroth stellen den legendären Sonnengesang des Franziskus dar.

Zehn Gotteshäuser könnte man in den neun Dörfern der Gemeinde aufsuchen. Die Oberschwarzacher Pfarrkirche St. Peter und Paul von 1478 birgt eine Gedächtnisstätte für den seligen Georg Häfner, der hier als Priester wirkte und 1942 im Konzentrationslage Dachau umkam. Im Frühjahr 2011 wurde sie nach einer Idee des damaligen Kunstreferenten der Diözese, Domkapitular Dr. Jürgen Lenssen, mit einem Tryptichon (Titel: „Reliquie Mensch“) und einer Büste gestaltet; Letztere stand ab 1997 zunächst am Urnengrab des Glaubenszeugen in der Krypta des Würzburger Neumünsters.

Gedächtnisstätte für den seligen Georg Häfner, einst Pfarrer in Oberschwarzach.
Gedächtnisstätte für den seligen Georg Häfner, einst Pfarrer in Oberschwarzach.

Alle Jahre um den 20. Januar erinnern sich die Oberschwarzacher des Sebastiani-Gelübdes ihrer Vorfahren von 1611, als die Beulenpest das Dorf zu entvölkern drohte. Die Bürgerwehr zieht in Frack und Zylinder aus und nimmt selbstverständlich auch am Festgottesdienst teil. 2021 wurde das fromme Brauchtum ins bayerische Landesverzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommen.

Eine noch junge Tradition ist es in Oberschwarzach, im sogenannten Salon des KästnerHofs im Oktober eine Kästner-Woche mit Musik und Kabarett zu feiern. Heuer passiert alles schon Anfang Juli, wenn das Kinderdorf mit aktuell 40 Plätzen in sechs Familienhäusern, 18 in zwei heilpädagogischen Tagesstätten und 12 in einer kleinen Förderschule 50 Jahre alt wird. Und was fiel Erich Kästner zum Februar, seinem Geburtsmonat, ein?

| Fotos: B. Schneider

3 Antworten auf „Kindern gehört Kästners Glücksklee“

  1. Wir haben diesen Ausflug mitgemacht, hatten einen schönen Tag, sehr informativ, Spass und Aha-Erlebnissen. Danke dafür.
    Jetzt alles nochmal zu lesen find ich toll.
    Weiter so!

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